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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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meine
Verlorenheit nach dem Krieg.
    Im Leben, im Dulden verdorrte mein Herz und welkte dahin.
    Ein Schatten verfolgt den, der
ich einst war, im Dulden, im Leben.
    Im Suchen
verlor ich mich selbst.
    Ich war und war
dennoch nicht.
    Ich bin und bin
dennoch nicht.
    Im Suchen verlor ich mich selbst.
    Auf
Traumpfaden entführt
mich die Nacht.
    Der Morgen bringt mich zurück.
    Tag um Tag geht das
Leben dahin auf Traumpfaden.
    Im Hoffen,
im Warten erträume
ich das Leben und lebe in
meinen Träumen.
    Schuld
allein ist mein
Herz, daß ich
nicht lebe, daß ich
noch träume im Warten,
im Hoffen.
    Er hörte aufmerksam bis zum letzten Vers zu, schien
überrascht, ja unangenehm berührt, als wäre er mit dem Gedicht unzufrieden, und
auch mir kam es auf einmal sehr schlecht vor. Dann erschien ein Lächeln auf
seinem blassen Gesicht.
    »Ah, ein
Dichter also! Die Irrenden.«
    »Wieso
›die Irrenden‹? Denkst du so über Dichter?«
    »Nicht ich, sondern der
Koran.«
    »Ich kann
mich nicht erinnern.«
    »Dann helfe
ich deinem Gedächtnis auf. Was sagt Gott von Mohammed? ›Und nicht lehrten wir
ihn Poesie, noch geziemte sie ihm.‹ Kennst du nicht die Sure ›Die
Dichter‹? ›Und die Dichter, es folgen ihnen die Irrenden. Schaust du
nicht, wie sie in jedem Wadi verstört umherlaufen? Und wie sie sprechen, was
sie nicht tun?‹ – ›Sie glauben nicht an ihn, bis sie die schmerzliche
Strafe erschauen. Und kommen wird sie unversehens über sie.‹ Seit wann
läufst du verstört in jedem Wadi herum und sprichst, was du nicht tust?«
    »Seit ich aus dem Krieg heimgekehrt
bin.«
    »Ah, das ist ›der Schatten, der
dich verfolgt‹, der Schatten des Krieges natürlich. Seitdem hast du wohl den
Koran nicht mehr zur Hand genommen. Sonst wüßtest du, daß das eine Sünde ist,
was du tust.«
    Ich lachte.
    »Diese Sünde nehme ich auf mich.
Wenn du mich schon verurteilst, kannst du mir wenigstens sagen, warum es so
ist? Wen stört das Dichterwort?«
    »Nicht ich verurteile dich. Der
Koran sagt: ›Siehe, Allah liebt diejenigen, welche in seinem Weg in
Schlachtordnung kämpfen, als wären sie ein gefestigter Bau.‹ Dich aber liebt
Allah nicht, denn du trittst allein an, du zerstörst die Schlachtordnung,
untergräbst den gefestigten Bau. Und nicht nur, daß du den Glauben nicht
verteidigst, du bist gegen ihn.«
    »Auch das noch!«
    »›Der Glaube ist das Gesetz, das
das ganze Leben regiert.‹ Die Poesie steht außerhalb dieses Gesetzes, sie
erkennt es nicht an, fordert Freiheit für Wort und Gedanken und leugnet die Vollkommenheit
der von Gott geschaffenen Welt. Im Traum zu leben, im Hoffen und Warten, das
bedeutet, das Bestehende nicht zu bejahen. Das ist Aufruhr.«
    »Gott schütze mich vor dir als
Ankläger! Was ist demnach kein Aufruhr?«
    »Das Gebet.«
    »Betest du? Verteidigst du den
Glauben in Schlachtordnung, im gefestigten Bau?«
    Er lächelte traurig oder leicht
spöttisch. Und antwortete nicht.
    Die Zeit seines Schweigens war
gekommen, er zog sich in seine Träume zurück. Sein Blick erlosch, richtete sich
nach innen, auf etwas Wichtigeres und Schöneres, als es irgendein Ahmet Šabo
und dessen verworrene Verse waren.
    Er hatte gespottet, offensichtlich.
Nur, über wen? Über mich oder über sich selbst? Oder über jeden? Er hatte mit
klarem Bewußtsein gesprochen, aber er war sowohl in seinen künstlichen Träumen
als auch in wachem Zustand fern von dieser unserer Welt und von den Menschen,
und es berührte ihn nicht, wie sie die Dinge untereinander regelten. Er verzichtete
auf alles, was nicht zum Reigentanz seiner unwirklichen Bilder gehörte, der
von keiner menschlichen Ordnung gestört werden konnte.
    Ich sah ihn verwirrt, fast ängstlich
an, als wäre er gestorben.
    Mich berührte gerade das, was ihm
vollkommen gleichgültig war.
    Da hörte ich eine Bewegung hinter
mir.
    Ich drehte mich um: In der Tür stand
ein junger Mann, ich erkannte ihn an dem schmalen Gesicht und den brennenden
Augen. Der Student Ramiz.
    Ich hatte versucht, ihm
auszuweichen, aber nun stand ich ihm gegenüber.
    Schon seit einem Monat predigte er
abends in der Ali-Pascha-Moschee den Armen aus Crni vrh, Berkuša, Bjelave,
Koševo und sagte dabei Dinge, die kein vernünftiger Mensch öffentlich geäußert
hätte. Einmal war ich hingegangen, nachdem ich gehört hatte, wie die Leute
flüsternd seine Worte weitergaben, ich hatte kaum einen Platz an der Tür
gefunden und war fortgelaufen, bevor er seine Ansprache beendet hatte. Voller
Angst war ich

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