Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
Vom Netzwerk:
geflohen!
    Ich erinnerte mich noch, was er in
jener finsteren Nacht in den Wäldern vor Chotin gesagt und was ich zur Unzeit
und zu meinem Unglück wiederholt hatte, ich wußte, daß er alles mögliche sagen
konnte, aber nicht das, nicht so!
    Nie hatte ich von jemandem so
scharfe Worte gehört, soviel Verachtung für die Obrigkeit, soviel Freigeisterei
wie an diesem Abend von dem feurigen Studenten der Al-Azhar, der keine Furcht
kannte und keine Macht anerkannte. Er sagte – ich vernahm es mit Entsetzen –,
es gäbe drei große Leidenschaften, den Alkohol, das Glücksspiel und die Macht.
Von den ersten beiden könnten die Menschen geheilt werden, von der dritten nie. Die Macht sei
das größte Laster. Um ihretwillen würde getötet, würde gestorben, um
ihretwillen verlören die Menschen das Gesicht. Ihr könne niemand widerstehen,
denn sie verleihe Kräfte wie ein Zauberstein. Sie sei der Geist aus Aladins
Lampe und diene jedem Narren, der in ihren Besitz gelangte. Voneinander
getrennt, stellten sie nichts dar, vereint seien sie die Geißel dieser Welt.
Gerechte und weise Macht gäbe es nicht, denn grenzenlos sei das Streben nach
noch größerer Macht. Ein Mensch an der Macht werde von Feiglingen bejubelt, von
Schmeichlern ermutigt, von Schurken unterstützt, und seine hohe Meinung von
sich selbst spräche der Wirklichkeit hohn. Er halte alle Menschen für dumm,
denn sie sagten ihm nicht, was sie wirklich dächten, sich selbst maße er das
Recht an, alles zu wissen, und niemand habe etwas dagegen. Kein Mensch an der
Macht sei klug, denn auch die Klugen verlören bald das Maß, oder geduldig, denn
alle haßten Veränderungen. Sie schüfen sofort ewige Gesetze, ewige Grundsätze,
eine ewige Ordnung, und indem sie sie als gottgegeben hinstellten, festigten
sie ihre Macht. Und sie würden nie gestürzt, bis andere Mächtige sich durch sie
behindert und bedroht fühlten. Ihre Entthronung ginge immer auf gleiche Weise
vor sich, unter dem Vorwand, sie hätten Gewalt gegen das Volk geübt, dabei sei
einer so gewalttätig wie der andere, und sie hätten den obersten Landesherrn
verraten, was tatsächlich niemandem in den Sinn komme. Und noch niemanden habe
das zur Vernunft gebracht, alle strebten der Macht blindlings entgegen wie die
Nachtfalter dem Kerzenlicht. Seien nicht alle bosnischen Walis eingesperrt,
verjagt oder umgebracht worden? Mit ihrem ganzen Gefolge. Aber stets kämen neue
mit ihrem eigenen Gefolge und wiederholten die Dummheiten ihrer Vorgänger,
denn sie könnten nicht anders. Und so ginge es unaufhörlich im Kreis herum.
Ohne Brot könne ein Volk überdauern, ohne Obrigkeit nicht. Sie seien eine
Krankheit am Körper des Volkes, wie Geschwüre. Sobald das eine Geschwür
abfiele, wüchse ein neues, vielleicht schlimmeres. Es geht nicht ohne uns, so
sagten sie, die Räuber würden sich vermehren, der Feind würde uns angreifen,
die Ordnung im Land würde gestört. Wer aber erhalte dieses Land, wer ernähre
es, wer verteidige es? Das Volk. »Sie aber erpressen, bestrafen, verhaften,
töten uns. Sie zwingen sogar unsere Söhne, das zu tun. Sie kommen ohne euch
nicht aus, ihr müßt ohne sie auskommen. Sie sind wenige, unser sind viele. Wenn
wir nur den Finger rühren, wir alle, können wir dieses Ungeziefer ausrotten.
Und wir werden es tun, meine gequälten Brüder, sobald die rechten Männer
herangewachsen sind, die keine Vampire in ihrem Nacken dulden werden.«
    Da war ich verwirrt aus der Moschee
gestolpert, über die in löchrigen Socken steckenden Füße der Vorstadtbewohner
hinweg, die atemlos diesen Worten des Aufruhrs lauschten.
    Woher nahm er soviel Mut?
    Wie betrunken war ich nach Hause
getaumelt, noch immer traute ich meinen Ohren nicht. Wie hatte er gewagt, so
etwas zu sagen, wie hatten die Menschen gewagt, ihm zuzuhören?
    Ich hatte es Tijana erzählt, voller
Entsetzen und Bewunderung. »Er ist wirklich mutig«, hatte sie gesagt und mich
gebeten, nicht mehr in die Moschee zu gehen. Vielleicht hatte sie Angst, ich
könne meines Schweigens überdrüssig werden.
    Und nun stand der junge Mann, über
den ich soviel nachgedacht und von dem ich sogar geträumt hatte, mit einem
Buch in der Hand vor mir und sah mich neugierig an.
    »Kennen wir uns nicht? Sind wir uns
nicht irgendwo begegnet?«
    »Ich habe dich einmal in der Moschee
reden gehört.«
    »Und vorher?«
    »Ich glaube nicht.«
    Ich verleugnete die zufällige
Begegnung, aus Furcht vor möglicher Gefahr.
    »Du schreibst Gedichte?« fragte

Weitere Kostenlose Bücher