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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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auf die mageren Schultern, daß er sich
bog wie ein Zweiglein, und dankten ihm heuchlerisch für seine Güte und
Großherzigkeit.
    Mir wurde übel.
    »Komm«, forderte ich ihn auf. »Es
ist genug.«
    »Nein. Ich kann doch die Leute nicht
sitzenlassen.«
    Dann flüsterte er mir listig
zwinkernd zu, daß er diese Menschen aus geschäftlichen Gründen jetzt brauche.
Sie würden ihm und er ihnen helfen, Geld zu verdienen. Es ginge ihm nicht ums
Geld, sondern um andere Dinge. Was für Dinge? Alle möglichen. Jeder habe seine
eigenen Sorgen. Und da wir Freunde seien, wolle er mir nichts verheimlichen: Er
müsse zu Geld kommen, um jenem Hund das Maul zu stopfen. Welchem Hund? Seinem
Schwiegersohn, diesem Teufel.
    Als seine Töchter heiratete, hatte
Mahmut ihr ein Perlenarmband und eine Schnur Dukaten versprochen, das war vor jener
Sache gewesen, als er noch geglaubt hatte, er würde sein ganzes Leben in
der Stadt verbringen und zu Reichtum gelangen. Der Schwiegersohn habe es
gefordert, deshalb habe er es versprochen. Wenn ich schon eine Häßliche nehme,
dann soll sie nicht auch noch nackt sein, habe er offen gesagt. Aber sie sei
nicht häßlich, Gott sei sein Zeuge, sie gleiche ihrer Mutter. Die Perlen habe
er gekauft, die Dukaten nicht, wegen jener Sache, und nun sauge ihm der
Schwiegersohn das Blut aus. Er beschimpfe sie, verfluche sein Schicksal, weil
er sich mit Habenichtsen eingelassen habe, schlüge seine Frau, und wie könne
ein Vater die Not seines Kindes mit ansehen? Am liebsten hätte er ihn
umgebracht, aber damit hätte er sich und die Seinen ins Unglück gestürzt. Wenn
sie keine Kinder hätten, würde er die Tochter heimholen, damit sie sich
erholen und wie ein Mensch leben könne, aber sie hätten drei, zu denen sie
gekommen seien, ohne zu wissen wie in ihrem ständigen Zank und Streit, und sie
wolle aus Angst vor der Schande auch nicht fortlaufen. Also gut, er würde die
verwünschten Dukaten auftreiben, damit der Blutsauger den Hals voll bekäme und
sein Kind in Ruhe ließe. Er würde sich keine
Krankheit gönnen, keine Schwäche, nicht einmal den Tod, bis er diese Schuld los
sei.
    Diese Geschichte ließ mir den Atem
stocken. Hatte er einen so ernsten Grund für seine Torheiten? Dann waren es
keine Torheiten, sondern ein großer Kummer. Ich war zu ungerecht zu ihm
gewesen. Ich hätte ihm zwar nicht helfen und keine Erleichterung verschaffen
können, aber ich war ungerecht gewesen.
    Aber dann begann ich an der Wahrheit
dieser rührenden Geschichte zu zweifeln. Wie hatte Mahmut diese Sorgen bis
jetzt verheimlichen können? Hätte er nicht davon gesprochen, um uns zu
erweichen? Und warum hatte er nie die Tochter erwähnt? Woher kam auf einmal
eine Tochter?
    Wer weiß, wozu er diese Lüge
brauchte. Und wenn es keine Lüge war, dann war es vielleicht einmal die
Wahrheit gewesen, die sich in Selbstbetrug verkehrt hatte.
    Die Tochter und der Schwiegersohn
und seine Sorgen mit ihnen hatte er erfunden, und es war sinnlos, nach der
Wahrheit zu forschen.
    Es war auch sinnlos, ihn
aufzufordern, daß er seine Feier beendete. Dies war seine lange erwartete große
Stunde.
    Ich wußte nicht, ob er sich diese
Stunde in langen Jahren der Not ausgemalt, ob er sich auf die Worte, die er
sagen würde, und auf die Befriedigung vorbereitet hatte, die er empfinden
würde, wenn er einmal im Leben erfolgreich war. Er war es nicht, das wußten
alle, auch er selbst, aber es dauerte ihm zu lange, auf den richtigen Erfolg zu
warten, also nahm er diesen kläglichen Anfang als Aufstieg zum ersehnten Ziel.
Es war nicht das Ziel, dessen war er sich bewußt, das Ziel war viel größer.
Aber es war ein erster Schritt voller Verheißung. Der Zauber war gebrochen, das
Verhängnis hatte ihn gnädig verschont, die Teufel waren es leid, ihm Knüppel
zwischen die Beine zu werfen, und jetzt lag es nur an seinem Selbstvertrauen
und seinem Talent, um das Glück beim Schopf zu packen. Es ging ihm nicht um
Geld, Gott war sein Zeuge. Aber worum es ihm ging, das hätte er selbst
schwerlich sagen können. Vielleicht um das Recht – für das er bezahlte –, in
dieser Nacht mit den Menschen zusammenzusitzen, nicht hinter der Tür wie
sonst, über sich zu sprechen wie die anderen auch, ihren Spott anzuhören und
ihn als freundschaftlichen Scherz oder als Lob aufzufassen, ihre Achtung zu
spüren oder sie sich einzubilden. Er nahm das alles gerührt und dankbar
entgegen, vielleicht sogar den Hohn, nur damit es nicht war wie an anderen
Abenden, nur damit er

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