Die fetten Jahre
über 1,5 Millionen Quadratkilometer chinesischen Bodens besetzt hielten, eine Fläche fast drei Mal so groß wie Frankreich. Schon vor Jahren hatte China es aufgegeben, auf die Rückgabe zu pochen, und im Einvernehmen mit den Russen bekannt gegeben, dass der chinesisch-russische Grenzverlauf nunmehr endgültig festgelegt sei. Solange China die Sache nicht wieder aufrollte, bestand kein Grund für einen erneuten Konflikt. Russland war ein riesiges Land mit schrumpfender Bevölkerung, das sich im Westen durch die Nato bedroht fühlte. Seine politische Energie verwendete es eher darauf, mit den schwankenden Einnahmen aus seinen Energieexporten zu-rechtzukommen, seine multiethnischen Teilrepubliken unter Kontrolle zu behalten und seinen Einfluss bei den ehemaligen Sowjetstaaten zurückzugewinnen. Die erneute globale Rezession hatte die stark vom Export seiner Energierohstoffe abhängige russische Volkswirtschaft hart getroffen. Als die Gasausfuhren nach Europa ein weiteres Mal einbrachen, war China glücklicherweise gleich als neuer Abnehmer in die Bresche gesprungen. Seither kam Russland bei Gas, Erdöl und anderen wichtigen Export-Säulen wie Rüstungsgütern und sibirischem Holz nicht mehr ohne den chinesischen Markt aus. Schon seit 2010 floss russisches Erdöl durch die Ostsibirien-Pazifik-Pipeline von Skoworodino nach Daqing in der chinesischen Nordprovinz Heilongjiang. Inzwischen leitete man auch Erdgas über eine sechstausendsiebenhundert Kilometer lange Pipeline direkt nach China. Das verringerte Russlands Abhängigkeit von Europa, und China konnte die Herkunft seiner fossilen Energien breiter streuen. Aus Kapitalmangel und Nepotismus ließen nach und nach einige der oligarchischen Großunternehmen Russlands die Beteiligung befreundeter chinesischer Firmen zu, um gemeinsam die Vorkommen von Titan, Gold und anderer Edelmetalle des Landes zu monopolisieren. Gewissermaßen ergänzten China und Russland einander wirtschaftlich. Das hatten in den vergangenen Jahren viele der an China angrenzenden Regionen im fernen Osten Russlands erkannt und stillschweigend chinesisches Kapital, chinesische Firmen und Arbeiter ins Land gelassen um von der gemeinsamen Erschließung zu profitieren. Zur Wahrung ihrer Kerninteressen und auch aus strategischen Überlegungen heraus konnten China und Russland nunmehr friedlich nebeneinander existieren – zumindest solange niemand das Problem des verlorenen Territoriums wieder aufs Tapet brachte.
Für He Dongsheng war die Verschiebung der globalen Gravitationszentren eine Jahrhundertchance. China ging es in den letzten Jahren zwar blendend; um aber langfristig in Frieden zu regieren, war aus He Dongshengs Sicht ein entscheidender Schritt unabdingbar: ein Bündnis mit Japan.
Für ein Asien der Asiaten mussten China und Japan sich zusammenschließen. Erst wenn Japan umschwenkte, sich von den USA löste und sich in Asien einfand, ließ sich der amerikanische Imperialismus aus Ostasien verdrängen und die alten Konstellationen aus Zeiten des Kalten Krieges würden endlich aufbrechen. Wenn sich zwei so potente Nationen wie China und Japan zusammentaten, entstünde eine neue Weltordnung, der Beginn einer post-westlichen Ära wäre unweigerlich gekommen, ohne dass die euro-amerikanischen Großmächte etwas dagegen unternehmen könnten. Das war der Grund, aus dem Sun Yat-sen 1924 nach Japan gefahren war: um den Asiatismus zu propagieren und Japan davon abzuhalten, sich den westlichen Imperialismus abzuschauen, auf dass es mit China vereint den Königsweg nähme. Sun Yat-sen war Nationalist, und natürlich war er nicht blind für Japans Ambitionen. Aber er wusste, dass weder Japan noch China alleine die Kraft hatte, den Einfluss der westlichen Großmächte in Asien zu brechen, jedoch niemand die Renaissance Ostasiens aufhalten konnte, wenn sie zusammenstanden. Leider hatte man damals in Japan nicht auf Sun Yat-sens Rat gehört, sondern war in China und andere Teile Asiens eingefallen, hatte sich selbst und anderen großen Schaden zugefügt und letztendlich alle zu Besiegten gemacht.
Doch nun war die Zeit gekommen. Die Regierungen beider Länder trotzten dem Sturm der Entrüstung, den ihr Entschluss im eigenen Land hervorrief, und gingen ein Bündnis ein. China und Japan unterzeichneten die umfassendsten und engsten bilateralen Sicherheits- und Wirtschaftsabkommen ihrer Geschichte.
Damit verbündeten sich die beiden nach den USA stärksten Militärmächte der Welt. Japans Rüstungsausgaben
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