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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koonchung Chan
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Land heute nun besser oder schlechter?«
    Hu Yan antwortete: »Natürlich gibt es noch allerhand Probleme, aber insgesamt kann man sagen, dass die Politik der Partei positive Rückkopplungseffekte erzeugt hat.«
    Diese Einschätzung erfüllte Chen, der die akademische Ausdrucksweise seiner Freundin schon kannte, mit großer Zufriedenheit. Er hatte nicht wenige Orte in China bereist und wusste daher, dass sich die Städte ersten, zweiten und sogar dritten Ranges prächtig entwickelt hatten; selbst größeren Kreisstädten ging es gut und deren Einwohner hatten es zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Was die ländlichen Gebiete anging, war Chen nicht sicher, denn er hatte lediglich ein paar Mal Ausflüge in die Peripherie der großen Städte unternommen, aber nie längere Zeit auf dem Land verbracht. Deswegen fragte er Hu Yan alle paar Monate nach der Situation auf dem Land. Es war wie ein Anruf bei entfernten Bekannten, eine kurze Vergewisserung, dass bei ihnen alles in Ordnung war. Denn wenn er hörte, dass es auch auf dem Land besser war als früher, konnte Chen sich sagen: Ganz China geht es gut! – und guten Gewissens weiter sein angenehmes Leben führen. Was die Einzelheiten der »positiven Rückkopplungen« auf dem Land anging, so sollten sich die Experten damit beschäftigen; er selbst musste das nicht so genau wissen, fand Chen.
    Unvermittelt stellte Fang Caodi Hu Yan eine Frage: »Professor Hu, was denken Sie über die Ereignisse in dem Monat zwischen dem Eintritt in die Feuer-und-Eis-Periode und dem Beginn des Goldenen Zeitalters?«
    Hu Yan schien Fangs Frage nicht zu verstehen.
    »Der Monat dazwischen, genau gesagt waren es achtundzwanzig Tage.«
    »Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was Sie meinen. Welche achtundzwanzig Tage ›dazwischen‹? Die Renminribao hatte es auf der Titelseite: ›Feuer und Eis in der Weltwirtschaft – Goldenes Zeitalter in China‹. Das war ein und derselbe Tag, der Tag, als der Dollar mit einem Schlag zwei Drittel an Wert verlor und das Goldene Zeiten-Konjunkturpaket verkündet wurde.«
    Fang Caodi sagte nichts mehr. Chen triumphierte im Stillen: damit wäre die Sache wohl geklärt, Fang würde endlich Ruhe geben.
    Er wechselte das Thema und fragte Hu Yan nach ihrem Bericht über Chinas Untergrundkirchen.
    »Wir raten darin der Regierung, das Thema Religion zu desensibilisieren und Religionsgemeinschaften nicht weiter als feindliche Kräfte zu behandeln, als Widerspruch des Volkes, sondern eine Normalisierung zuzulassen und Religion als ganz normalen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens zu begreifen. Wir müssen aus den politischen Missgeschicken der Vergangenheit lernen und dürfen nicht noch einmal so einen Fehler wie die Unterdrückung der Falun-Gong-Bewegung begehen.«
    »Nein, bloß nicht, bloß nicht. Dieses Unheil darf sich nicht wiederholen!«, pflichtete Fang Caodi ihr eifrig bei.
    Hu Yan nickte.
    Chen stellte die Frage, die ihn viel mehr interessierte als generelle Debatten über Religionsgemeinschaften: »Sagt dir der Satz: ›Ein Weizenkorn stirbt nicht‹ etwas?«
    »Ich bin mit den Schriften des Christentums nicht besonders vertraut, aber ich glaube, in einem der Evangelien heißt es ›Ein Weizenkorn, das zur Erde fällt, erstirbt nicht‹, oder etwas in der Art. Diese Stelle ist vielen Christen sehr geläufig, in Henan ist sogar eine Hauskirche danach benannt.«
    »Wo in Henan?«, fragte Chen geistesgegenwärtig.
    »Im Westteil, weiter oben im Norden, soweit ich mich entsinne. Für den genauen Ort müsste ich den Kollegen fragen, der diese Region erforscht hat.«
    »Würdest du das für mich tun?«, bat Chen eindringlich.
    »Natürlich«, antwortete Hu Yan.
***
    Nachdem sie sich von Hu Yan verabschiedet hatten, sagte Fang Caodi: »Professor Hu ist sehr nett, aber sie ist keine Artgenossin.«
    »Zum Glück sind nicht alle Menschen auf der Welt so wie du«, murmelte Chen.
    »Ich hab es schon an ihrem Gesichtsausdruck gesehen. Fröhlich und unbeschwert. Und siehe da, sie wusste nichts von dem verschwundenen Monat.«
    »Fang, was diesen verschollenen Monat angeht …«, sagte Chen, »Hör auf meinen Rat und vergiss es einfach. Das bringt doch eh nichts. Das Leben ist kurz, versuch lieber, es zu genießen!«
    Fang Caodi sagte nichts dazu. Chen wusste, er konnte sich den Mund fusselig reden – Fang würde ohnehin machen, was er wollte. Wenn Fang Caodi sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er nicht mehr aufzuhalten.
    Im Wagen fragte Fang Caodi, ob Chen ihm die

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