Die Feuer des Himmels
wohl als Kurier der Schwarzen aus. Wahrscheinlich hatte sie eine schlimme Nachricht überbracht. »Diesmal seid Ihr entschieden zu weit gegangen.« Sie griff nach Saidar, doch im gleichen Augenblick umgab das typische Glühen die andere Frau, und Liandrins Versuch endete an einer dicken, unsichtbaren Wand, die sie von der Wahren Quelle abschirmte. Die Quelle hing quälend und unerreichbar wie die Sonne außerhalb ihres Zugriff.
»Hör auf, mich so anzustarren, Liandrin«, sagte die Frau gelassen. »Du siehst aus wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ich bin nicht Gyldin, sondern Moghedien. In diesen Tee muß mehr Honig, Temaile.« Die schlanke Frau mit dem Fuchsgesicht eilte schwer atmend herbei, um die Tasse entgegenzunehmen.
Es mußte stimmen. Wer sonst könnte die anderen derart beherrschen? Liandrin sah sie an, wie sie ängstlich an die Wand gedrückt dastanden. Eldrith Jhondar mit dem runden Gesicht wirkte diesmal gar nicht geistesabwesend, trotz des Tintenflecks auf ihrer Nase. Sie nickte lebhaft. Die anderen hatten wohl sogar Angst, sich überhaupt zu rühren. Warum sich eine der Verlorenen - die Bezeichnung durften sie eigentlich gar nicht verwenden, taten es aber, wenn sie unter sich waren -, warum sich also Moghedien hinter der Maske einer Dienerin verborgen hatte, war ihr unverständlich. Die Frau hatte alles oder konnte zumindest alles haben, was sie wollte. Nicht nur die Beherrschung der Einen Macht in einem Maße, von dem sie selbst nur träumen konnte, sondern vor allem Macht. Macht über andere, Macht über die Welt. Und Unsterblichkeit. Macht für ein ganzes Leben, das niemals enden würde. Sie und ihre Schwestern hatten bereits über Unstimmigkeiten zwischen den Verlorenen diskutiert. Befehle hatten sich widersprochen, und Befehle anderen Schattenfreunden gegenüber hatten wiederum ganz anders gelautet. Vielleicht hatte sich Moghedien vor den übrigen Verlorenen versteckt gehalten?
Liandrin breitete ihr geteiltes Reitkleid so gut sie konnte aus, während sie tief knickste. »Wir heißen Euch willkommen, Herrin. Wenn uns die Auserwählten führen, werden wir ganz sicher triumphieren, bevor der Tag der Wiederkehr des Großen Herrn kommt.«
»Hübsch ausgedrückt«, sagte Moghedien trocken und nahm die Tasse wieder von Temaile entgegen. »Ja, nun schmeckt er entschieden besser.« Temaile wirkte auf absurde Weise dankbar und erleichtert. Was hatte Moghedien mit ihnen angestellt?
Plötzlich kam Liandrin ein Gedanke, und der war ihr nicht gerade willkommen. Sie hatte eine der Auserwählten als Dienerin betrachtet und behandelt. »Große Herrin, in Tanchico wußte ich nicht, daß Ihr... «
»Natürlich wußtet Ihr das nicht«, sagte Moghedien gereizt. »Was nützte es, meine Zeit im Schatten verborgen zu verbringen, wenn Ihr und diese anderen von mir wüßten?« Mit einemmal umspielte ein leichtes Lächeln ihre Lippen. Ihr übriges Gesicht blieb davon unberührt. »Macht Ihr euch Sorgen wegen der vielen Male, die Ihr Gyldin zum Koch schicktet, um sich verprügeln zu lassen?« Auf Liandrins Gesicht standen plötzlich Schweißperlen. »Glaubt Ihr im Ernst, ich hätte das zugelassen? Zweifellos hat Euch der Mann Bericht erstattet, aber er berichtete nur, woran er sich erinnerte woran sich zu erinnern ich ihm gestattete. Ihm tat Gyldin wirklich leid, da sie von ihrer Herrin so mißhandelt wurde.« Das schien sie sehr zu amüsieren. »Er gab mir einige der Desserts, die er für Euch bereitet hatte. Es würde mich freuen, wenn er noch lebte.«
Liandrin atmete erleichtert auf. Sie würde also nicht sterben. »Große Herrin, es ist überflüssig, mich abzuschirmen. Ich diene doch genauso dem Großen Herrn. Ich leistete meinen Eid als Schattenfreund, bevor ich noch in die Weiße Burg kam. Ich suchte von dem Tage an die Schwarzen Ajah, an dem ich erfuhr, daß ich die Macht lenken könne.«
»Also seid Ihr dann wohl die einzige in diesem schlecht geführten Rudel, die nicht erst lernen muß, wer ihre Herrin ist?« Moghedien zog eine Augenbraue hoch. »Das hätte ich gar nicht von Euch erwartet.« Das Glühen um sie herum verschwand. »Ich habe Aufgaben für Euch. Für Euch alle. Ihr werdet vergessen, was immer Ihr zu tun vorhattet. Wie in Tanchico bewiesen wurde, seid Ihr eine unfähige Meute. Mit meiner Hand an der Peitsche werdet Ihr vielleicht erfolgreicher jagen.«
»Wir erwarten Befehle aus der Burg, Große Herrin«, sagte Liandrin. Unfähig! Sie hatten doch beinahe gefunden, was sie in Tanchico gesucht
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