Die Feuer des Himmels
wischte sich mit dem Tuch über das Gesicht. Ein Teil seines Verstands bestätigte ihm mit kalter Logik, daß diese Narben ihm eindeutig bewiesen, daß es sich nicht um einen normalen Traum gehandelt habe. Einen normalen Alptraum. Ein anderer Teil seiner Selbst wimmerte innerlich fast vor Erleichterung, daß sie seither nicht zurückgekehrt war.
Die zweite Überraschung an der Nachricht war die Handschrift gewesen. Es war eine Frauenschrift, wenn er sich nicht vollkommen irrte, und einige der Buchstaben entsprachen der typischen Schrift der Aiel. Natael hatte ihm gesagt, es müsse unter den Aiel auch Schattenfreunde geben, denn die gab es in jedem Land und bei jedem Volk, doch er hatte nie den Wunsch verspürt, in der Wüste Brüder zu suchen. Aiel töteten schnell, ohne mit der Wimper zu zucken, und man konnte sie schon in Rage bringen, wenn man nur zu laut atmete.
Alles in allem roch die Nachricht nach Verhängnis. Wahrscheinlich hatte Natael einem Schattenfreund unter den Aiel gesagt, wer er sei. Er zwirbelte ärgerlich das Tuch zu einem langen, dünnen Strick und zerriß es dann. Hätten der Gaukler und Keille nicht unwiderlegbar beweisen können, daß sie hochstehende Mitglieder in den Ratsversammlungen der Schattenfreunde waren, dann hätte er sie beide getötet, bevor sie sich der Wüste auch nur näherten. Die andere Möglichkeit lag ihm allerdings noch schwerer im Magen. ›Ein Weg wurde auserwählt.‹ Vielleicht hatte man ihm auf diese Art nur das Wort ›auserwählt‹ zuspielen wollen, und das könnte bedeuten, daß einer der Auserwählten beschlossen hatte, ihn zu benutzen. Die Nachricht stammte jedenfalls nicht von Lanfear, denn die wäre ihm statt dessen einfach wieder im Traum erschienen.
Trotz der Hitze schauderte er, mußte sich aber gleichzeitig wieder den Schweiß vom Gesicht wischen. Lanfear war eine durchaus eifersüchtige Herrin, aber was, wenn ein anderer der Auserwählten ihn zum Diener haben wollte? Er hätte wohl keine andere Wahl. Obwohl man ihm als Junge bei seiner Vereidigung eine Menge Versprechungen gemacht hatte, gab er sich keinen Illusionen hin. In einem Konflikt zwischen zwei der Auserwählten würde er plattgewalzt wie ein Kätzchen unter einem Wagenrad, und sie würden es so wenig bemerken wie das Rad sein Opfer. Er wäre so gern zu Hause in Saldaea gewesen. Er hätte Teodora so gern wiedergesehen.
Ein Kratzen an der Tür ließ ihn hochfahren und aufspringen. Trotz seines massigen Körpers war er beweglicher, als er sich vor anderen den Anschein gab. Er wischte sich wieder Gesicht und Hals mit einem neuen Tuch ab, während er an dem kleinen Backsteinofen, den er hier gewiß nicht benötigte, und an den Kommoden mit ihren kunstvoll geschnitzten und bemalten Vorderseiten vorbeiging. Als er die Tür öffnete, huschte eine schlanke, ganz in Schwarz gehüllte Gestalt an ihm vorbei nach drinnen. Er blickte sich ganz kurz in der mondbeschienenen Dunkelheit um, weil er sichergehen wollte, daß niemand zugesehen hatte, und dann schloß er die Tür schnell wieder. Die Fahrer schnarchten alle friedlich unter den anderen Wagen, und die Aielwachen kamen niemals direkt zu den Wagen heran.
»Es muß dir doch heiß sein, Isendre«, schmunzelte er. »Zieh doch dieses Gewand aus und mach es dir bequem.«
»Danke, nein«, sagte sie in bitterem Tonfall aus dem Schatten unter ihrer Kapuze heraus. Sie stand steif da und zuckte nur von Zeit zu Zeit. Die Wolle ihres Gewands schien heute abend noch mehr zu kratzen als sonst.
Er schmunzelte wieder. »Wie du wünschst.« Unter diesem Gewand durfte sie, dem Befehl der Töchter des Speers entsprechend, nichts tragen, bestenfalls den gestohlenen Schmuck. Seit man sie den Töchtern ausgeliefert hatte, war sie geradezu prüde geworden. Er konnte sich immer noch nicht vorstellen, wieso die Frau dumm genug gewesen war, zu stehlen. Er hatte natürlich keine Einwände erhoben, als man sie kreischend an den Haaren aus dem Wagen gezerrt hatte. Damals war er nur froh gewesen, daß man nicht glaubte, er sei darin verwickelt. Ihre Habgier hatte seine Arbeit allerdings erheblich erschwert. »Kannst du mir irgend etwas von al'Thor oder Natael berichten?« Ein wichtiger Teil von Lanfears Anweisungen hatte darin bestanden, diese beiden genau zu beobachten, und er kannte keine bessere Methode, einen Mann im Auge zu behalten, als ihm eine Frau ins Bett zu schicken. Jeder Mann erzählte seiner Bettgenossin Dinge, die er geheimzuhalten geschworen hatte, prahlte mit
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