Die Feuer des Himmels
nie davor zurückgeschreckt, mir ins Gesicht zu sagen, was immer Ihr mir sagen wolltet. Und falls ich das je vergesse, hat mich Aviendha daran erinnert, daß auch ich nur aus Fleisch und Blut bestehe.«
»Ihr habt Euch sehr verändert, seit ich Euch zum erstenmal als Junge vor der Weinquellenschenke sah.« Ihre Stimme klang wie das leise Klingeln kleiner Silberglöckchen. »Ihr seid kaum noch der selbe. Ich hoffe nur, Ihr habt Euch in genügendem Maße verändert.«
Egwene murmelte leise etwas vor sich hin. Rand glaubte zu verstehen: »Ich hoffe, du hast dich nicht zu stark verändert.« Sie blickte mit gerunzelter Stirn die Briefe an, als frage auch sie sich, was darin stehen mochte. Genau wie Aviendha.
Moiraine fuhr etwas gelöster, wenn auch knapp, fort: »Siegel bewahren die Privatsphäre. In diesem hier stehen Dinge, von denen ich mir wünsche, daß Ihr über sie nachdenkt. Nicht jetzt gleich, sondern wann immer Euch Zeit zum Nachdenken bleibt. Was den Brief an Thom betrifft, wüßte ich keine besseren Hände als Eure, in die ich ihn legen könnte. Gebt ihn ihm, wenn Ihr ihn wiederseht. So, und nun gibt es etwas im Hafen, das Ihr sehen müßt.«
»Im Hafen?« fragte Rand nach. »Moiraine, ausgerechnet an diesem einen Morgen habe ich keine Zeit, um... «
Doch sie schritt bereits den Korridor entlang, als sei sie ganz sicher, daß er ihr folgen werde. »Ich habe Pferde bereitstellen lassen. Auch eins für Euch, Mat, für den Fall der Fälle.« Egwene zögerte nur einen Moment, und dann folgte sie ihr.
Rand öffnete den Mund, um Moiraine zurückzurufen. Sie hatte geschworen, ihm zu gehorchen. Was sie ihm auch zeigen wollte, es konnte doch wohl warten.
»Was kann eine Stunde schon ausmachen?« murrte Mat. Vielleicht überlegte er es sich doch noch?
»Es wäre nicht schlecht, wenn man Euch heute morgen in der Stadt sieht«, warf Asmodean ein. »Es könnte sein, daß Rahvin Bescheid weiß, sobald Ihr etwas unternehmt. Falls er einen Verdacht hegt - er könnte ja Spione haben, die an Schlüssellöchern lauschen -, würde sie das für heute beruhigen.«
Rand sah Aviendha an. »Bist du der gleichen Meinung?«
»Ich bin der Meinung, du solltest auf Moiraine Sedai hören. Nur Narren mißachten das Wort einer Aes Sedai.«
»Was kann denn im Hafen sein, das wichtiger als Rahvin wäre?« grollte er und schüttelte den Kopf. Es gab eine Redensart an den Zwei Flüssen, die allerdings kein Mann in Gegenwart von Frauen gebrauchen würde: ›Der Schöpfer schuf die Frau, um dem Auge zu gefallen und den Verstand zu trüben.‹ In gewisser Hinsicht unterschieden sich die Aes Sedai auch nicht von anderen Frauen. »Eine Stunde.«
Die Sonne stand noch nicht hoch genug am Himmel, und so lag der lange Schatten der Stadtmauer über dem gepflasterten Kai, auf dem die Kolonne von Kaderes Wagen stand. Trotzdem wischte er sich bereits mit einem großen Taschentuch das Gesicht ab. Es lag nur teilweise an der Hitze, daß er so schwitzte. Hohe graue Flankenmauern schoben sich zu beiden Seiten der Hafenanlagen in den Fluß hinaus und machten den Kai zum Inneren einer düsteren Schachtel. Er war mittendrin gefangen. Hier hatten ausschließlich breite, am Bug abgerundete Getreidekähne angelegt, und weitere warteten am Fluß vor Anker darauf, daß sie an die Reihe kämen und ihre Ladung löschen konnten. Er hatte schon überlegt, ob er sich auf einen davon schleichen solle, wenn er ablegte, aber das hätte bedeutet, das meiste von dem zurückzulassen, was er noch besaß. Wenn er allerdings glaubte, am Ende der langsamen Fahrt flußabwärts erwarte ihn etwas anderes als sein Tod, wäre er das Risiko eingegangen. Lanfear war ihm nicht wieder im Traum erschienen, aber er hatte ja die Brandnarben auf der Brust, die ihn an ihre Befehle erinnerten. Nur der bloße Gedanke daran, einer der Verlorenen den Gehorsam zu verweigern, ließ ihn schaudern, obwohl ihm der Schweiß über das Gesicht lief.
Wenn er nur wüßte, wem er vertrauen konnte, soweit es überhaupt möglich war, einem der anderen Schattenfreunde zu vertrauen. Der letzte seiner Fahrer, der ebenfalls die Eide abgelegt hatte, war vor zwei Tagen verschwunden, vermutlich mit einem der Getreidekähne. Er wußte immer noch nicht, welche Aielfrau ihm diesen Zettel unter der Tür durchgeschoben hatte: ›Ihr seid nicht allein unter Fremden. Ein Weg wurde auserwählt.‹ Er hatte allerdings mehrere mögliche Kandidaten. Auf den Kais traf man beinahe genausoviele Aiel wie Schauerleute. Sie
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