Die Feuer von Córdoba
märchenhaften Ort verwandelt, einen Ort, an dem Feen und Kobolde lebten. Allerdings hatte der Zauber mit dem Glockenschlag zum Morgengebet nicht seine Wirkung verloren. Im Gegenteil . Als er zur Kapelle ging, glaubte er statt der Steinfliesen weiches, duftendes Moos unter seinen Füßen zu spüren. Die gemurmelten Gebete der versammelten Brüder wurden zum Rauschen der Blätter uralter knorriger Bäume. Und der Schreibtisch vor ihm war in seiner Fantasie ein Brunnen mit geheimnisvollen Kräften, auf dessen glatter Oberfläche er sein Schicksal zu sehen bekam.
Jetzt fühlte er sich von Carlos bei dieser Sünde ertappt. Genau genommen waren es zwei Sünden. Stefano überlegte , welche von ihnen wohl schwerer wiegen mochte – die Sünde, einen Befehl des Inquisitors nicht befolgt, oder die, in einem verbotenen Buch gelesen und sich seinem verhängnisvollen Zauber hingegeben zu haben. Mochte Pater Giacomo sein Urteil fällen, wenn Carlos ihm davon erzählt hatte. Denn Stefano war fest davon überzeugt, dass ihm seine Schuld in leuchtenden Buchstaben auf der Stirn geschrieben stand. Dann fiel ihm ein, dass Carlos gar nicht lesen konnte.
Hastig ordnete er die Blätter auf seinem Schreibtisch und tat so, als hätte der Diener ihn nicht aus verbotenen Träumen , sondern mitten aus einer wichtigen Arbeit aufgeschreckt .
»Was gibt es?«, fragte er und versuchte ein strenges Gesicht zu machen.
»Ein Weib wünscht den Inquisitor zu sprechen, Pater.«
Stefano runzelte die Stirn. Pater Giacomo hatte sich in seine Zelle zum Gebet zurückgezogen. Morgen würden die Prozesse gegen fünfzig Ketzer beginnen, und er wollte sich noch ausruhen, um sich angemessen auf diese schwere, Kräfte zehrende Aufgabe vorzubereiten.
»Pater Giacomo hat ausdrücklich befohlen, nicht gestört zu werden«, entgegnete Stefano. »In welcher Angelegenheit wünscht sie denn den Inquisitor zu sprechen?«
Carlos zuckte mit den Schultern. »Das hat sie nicht gesagt, Pater«, brummte er. »Sie meinte nur, dass es wichtig ist.«
Stefano dachte kurz nach, dann seufzte er. »Gut, schick sie zu mir. Sie soll mir erst einmal erzählen, worum es geht. Danach kann ich immer noch entscheiden, ob diese Angelegenheit so wichtig ist, dass der Inquisitor selbst sich darum kümmern muss.«
Carlos verbeugte sich leicht und verschwand. Kurze Zeit später kehrte er mit einer Frau zurück. Stefano musterte sie eingehend.
Sie war etwa Anfang dreißig. Ihr Kleid aus dunkelgrünem Samt war sittsam, dennoch betonte es vorteilhaft ihre rundlichen Hüften. Ihr volles fast schwarzes Haar trug sie hochgesteckt , doch zwei Strähnen hatten sich aus dem Knoten gelöst und umrahmten ihr hübsches weiches Gesicht.
Diese Frau stammt gewiss nicht aus dem Armenviertel, dachte Stefano. Aber sie ist auch nicht reich, sonst würde sie mehr Schmuck tragen. Bestimmt ist sie eine tüchtige Hausfrau und liebevolle Ehefrau und Mutter. Als junges Mädchen muss sie mal wunderschön gewesen sein.
Dass der Anlass ihres Besuchs wichtig war, wenigstens für sie, ließ sich leicht erkennen – die Frau wirkte nervös. Ihr Busen wogte schnell auf und ab, und sie knetete unablässig ihre Hände, sodass es aussah, als würde sie sie waschen.
»Was wünscht Ihr?«, frage Stefano freundlich.
»Ich möchte bitte den Inquisitor sprechen, Pater«, sagte sie mit einem Knicks. Ihre Stimme war heiser und zitterte vor Aufregung, doch Stefano konnte sich gut vorstellen, wie diese Stimme klang, wenn sie lachte, sang oder die Namen ihrer Kinder rief. »Es ist wirklich sehr wichtig.«
»Nun, das mag wohl sein, doch der Inquisitor darf auf gar keinen Fall gestört werden. Wenn Ihr also nicht warten wollt, bis der Inquisitor Zeit für Euch hat – was frühestens gegen Abend, vielleicht sogar erst morgen der Fall sein wird –, so müsst Ihr schon mit mir vorlieb nehmen. Vielleicht kann ich Euch ja auch helfen.«
»Ihr seid Pater Stefano, der Sekretär des Inquisitors, nicht wahr?«
»Jawohl, der bin ich«, entgegnete Stefano. Das Selbstbewusstsein , mit dem die Frau mit ihm sprach, verwunderte ihn. Trotz ihrer Aufregung schien sie keine Angst vor ihm zu haben. »Und Ihr seid …«
»Oh, mein Name ist Suzanna Martinez. Mein Mann ist Schreiber beim Stadtrat.«
»Señora Martinez, es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen. Könnt Ihr Euch nun dazu entschließen, mir zu vertrauen ?«
Sie runzelte die Stirn, als müsste sie über Stefanos Vorschlag erst nachdenken. Dann nickte sie. »Also gut. Aber
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