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Die Feuer von Córdoba

Die Feuer von Córdoba

Titel: Die Feuer von Córdoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Einrichtung ihres Schlafzimmers.
    Natürlich bildete sie es sich nur ein. Die Schatten, die sie an der holzvertäfelten Decke und dem Kopf- und Fußteil ihres Bettes zu sehen glaubte, waren bestimmt nicht lebendig. Es war nichts weiter als eine optische Täuschung. Das Feuer im Kamin flackerte, und sein rötlicher Schein warf lange Schatten, die deshalb ebenfalls wild hin und her zuckten. Gegenüber von ihrem Bett hing ein Gobelin, der wohl eine der etwas blutigeren biblischen Szenen darstellen sollte. Doch gerade deshalb erinnerte er sie in fataler Weise an die gestickten Horrorszenarien von Giovanna de Pazzi, der Schwester von Giacomo, die von ihm langsam und qualvoll über Jahre hinweg vergiftet worden war. Sie hatte ihr Martyrium unter ihrem eifersüchtigen, wahnsinnigen Bruder in ihren Gobelins für die Nachwelt festgehalten.
    Anne wagte kaum, den Wandbehang anzuschauen aus Angst, jeden Augenblick könnte eine der entsetzlichen Gestalten , die darauf zu sehen waren, zum Leben erwachen. Doch obwohl ihr die Vernunft immer wieder dasselbe sagte – du bildest dir alles nur ein, du brauchst keine Angst zu haben –, wollte sie es nicht wirklich glauben. Ihr kam es so vor, als würden die Schnitzereien, je länger und öfter sie sie ansah, lebendig werden – albtraumhafte Fratzen, die mit ihren verzerrten Mündern Worte zu formen schienen und sie auslachten . Zudem hatte sie das sichere Gefühl, dass sie jemand, oder besser gesagt, etwas beobachtete. Und wenn ihr Blick zufällig auf den Spiegel fiel, der auf der kleinen Kommode stand, die ihr offensichtlich als Toilettentisch dienen sollte, so glaubte sie jeden Moment darin einen Geist zu erkennen. Nein, wenn sie sich hier schlafen legte, würde schon bald irgendein Monster aus der Wand kriechen und über sie herfallen . Davon war sie fest überzeugt, obwohl sie ganz genau wusste, dass sie spätestens morgen früh über sich selbst und ihre kindische Angst lachen würde.
    Anne seufzte und rieb sich ihre vor Müdigkeit brennenden Augen, während sie, um sich von ihren Horrorvisionen abzulenken , nochmals die vergangenen Stunden Revue passieren ließ. Der Stadtrat hatte sie tatsächlich und anscheinend ohne jeden Umweg zum Palast des Bischofs gebracht. Dort hatten Diener sie freundlich empfangen und ihr das Schlafgemach gezeigt, das sie während der nächsten Tage oder Wochen bewohnen sollte, um jederzeit dem Kaiser zur Verfügung stehen zu können. Ihn selbst hatte sie nicht mehr zu Gesicht bekommen . Einer der Gefolgsleute des Kaisers, ein sauertöpfisch dreinblickender älterer Mann, der an seiner Aufgabe ebenso wenig Freude zu haben schien wie sie, hatte ihr zwar eine langatmige Einführung in die Regeln des höfischen Lebens gegeben, und ein junger Bursche hatte sie im Bischofspalast ein wenig umhergeführt und ihr die Räumlichkeiten gezeigt, aber danach hatte man sie sich selbst überlassen. Gegen Abend hatte man ihr auf einem Tablett eine reichhaltige wohlschmeckende Mahlzeit serviert, und ein junges Mädchen war gekommen, das ihr die Kleider gerichtet hatte. Für das höfische Leben benötigte sie jetzt andere Kleider als in der Schreibstube, Kleider mit weiten Reifröcken und hohen Halskrausen, die schon beim bloßen Hinsehen ein Kratzen auf der Haut auslösten. Dann war noch ein Junge erschienen, um das Feuer im Kamin anzuzünden. Das war der letzte menschliche Kontakt gewesen. Seitdem saß sie auf der Bettkante und versuchte, nicht vor Angst verrückt zu werden, und gleichzeitig herauszufinden, weshalb der Kaiser nach ihr verlangt hatte. Wollte er wirklich nur ihre Dienste als Schreiberin ? Oder würde der Stadtrat doch Recht behalten mit seinen schmutzigen Vermutungen? Und was sollte sie jetzt tun? Sie war doch eigentlich in Córdoba, um hier einen Auftrag zu erfüllen. Aber wie sollte sie dem Inquisitor das Drachenöl einflößen, wenn der Kaiser in ihrer Nähe war? Sie musste unbedingt mit Bartolomé sprechen. Er musste Cosimo alles erzählen. Cosimo würde schon etwas einfallen. Der Haken an der Sache war nur, dass sie nicht wusste, wie sie mit Bartolomé Kontakt aufnehmen sollte. Sie wusste natürlich, wo sie ihn finden und wie sie ihm eine Nachricht zukommen lassen konnte. Tagsüber.
    Wenn nun aber der Kaiser wirklich auf ihre Dienste als Schreiberin wert legte, würde sie wohl kaum tagsüber die Möglichkeit haben, ungestört über den Marktplatz zu schlendern und einem der Gaukler oder Bettler dort unbemerkt einen Zettel für Bartolomé

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