Die Feuer von Córdoba
zuzustecken. Wie jedoch sollte sie den Zigeuner nachts finden? Schon bei dem Gedanken, in der Dunkelheit allein durch die schmalen finsteren Gassen der Stadt zu streifen, drehte sich ihr der Magen um. Hoffentlich war Juan so klug, mit Bartolomé Kontakt aufzunehmen. Aber Juan war zu sehr mit den Gedanken an seine bevorstehende Flucht und den Problemen beschäftigt, die ihn zu Hause in Gestalt seiner eifersüchtigen Ehefrau erwarteten. Nein, sie musste sich wohl selbst helfen. Aber wie? Sie sollte sich dem Kaiser zur Verfügung halten. Und was das bedeutete, war ihr am Nachmittag ausführlich von dem alten mageren Kerl mit dem mürrischen Gesicht erklärt worden. Immer in der Nähe des Kaisers bleiben und den Bischofspalast ohne ausdrückliche Genehmigung Seiner Majestät nicht verlassen. Unter gar keinen Umständen. Sie hatte nicht einmal selbst ihre Habseligkeiten aus Juan Martinez’ Haus holen dürfen. Mit anderen Worten, ich bin eine Gefangene, dachte Anne, zwischen Wut und Resignation hin und her schwankend.
Draußen wurde es allmählich hell. Die Schatten des Feuers verblassten langsam und wichen einem eintönigen Grau, das den ganzen Raum auszufüllen schien. Sie gähnte. Vor Müdigkeit war ihr fast übel, und sie beschloss, sich nun doch hinzulegen . Dein Körper braucht Schlaf, dachte sie und deckte sich zu. Die schwere Decke lastete auf ihr, als wäre sie anstelle von Daunen mit Stahlfedern gefüllt. Wer ahnte schon, was sie an diesem Tag alles noch erwarten würde. Sie brauchte einen klaren Kopf. Außerdem brauchte sie bei Tagesanbruch keine Angst mehr zu haben. Schließlich scheuten selbst die entsetzlichsten Ungeheuer und Geister das Tageslicht.
Und mit diesem tröstlichen Gedanken ließ sie sich in die weichen Kissen zurücksinken.
VI
Törichtes Geflüster
»Pater, in der Halle steht ein Weib, das Seine Exzellenz den Inquisitor zu sprechen wünscht.«
Carlos’ tiefe, raue Stimme schreckte Stefano aus seinen Träumen auf. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag ein Brief, den er eigentlich beantworten sollte. Doch stattdessen weilten seine Gedanken an ganz anderen Orten. Sie wanderten durch märchenhafte Landschaften, durch Wälder so alt wie die Schöpfung, an Bächen und Flüssen mit klarem Wasser entlang , vorbei an Seen, deren Tiefe kein Mensch je ergründet hatte, und versteckt liegenden Tümpeln, deren dunkelgrünes Wasser so glatt und still war, dass allein das Geräusch der Schritte ausreichte, um ihre Oberfläche zu kräuseln. Seine Gedanken begegneten gefährlichen Drachen, undurchschaubaren Feen, tapferen Rittern und weisen Zauberern. Und sie wollten nicht loslassen, sie wollten dort bleiben in dieser Furcht einflößenden und doch so wunderbaren Welt.
Stefano schüttelte den Kopf, als könnte er dadurch diese Bilder vertreiben. Das kam nur von dem seltsamen Buch, das sie am Vortag im Haus eines der Ketzer gefunden hatten, ein verbotenes Buch, angefüllt mit ketzerischen, gotteslästerlichen Gedanken, die wohl jedem rechtgläubigen Christen die Haare hätten zu Berge stehen lassen. Und trotzdem …
Es war die Geschichte von einem König namens Arthur und einem Zauberer, der ihm zur Seite stand. Es ging um Magie, um Mord, Intrigen und Ehebruch, um Feen und ein geheimnisvolles, nebelverhangenes Land namens Avalon. Eigentlich hätte Stefano das Buch bereits gestern verbrennen sollen – so hatte es ihm wenigstens Pater Giacomo aufgetragen . Doch er hatte es nicht übers Herz gebracht. Ein weiteres Mal hatte er sich als schwach erwiesen. Das Buch mit dem wunderschönen goldgeprägten Ledereinband hatte seine Neugierde geweckt. Heimlich, als Pater Giacomo ihm den Rücken zukehrte, hatte er es aufgeschlagen und die Zeichnungen entdeckt. Es waren wunderschöne farbenprächtige Federzeichnungen. Und dann hatte er einen Satz gelesen. Nur einen einzigen Satz, kaum mehr als ein Dutzend Worte. Doch diese Worte hatten ihn verzaubert. Es war, als ob er die Tür zu einem wundervollen verwunschenen Garten aufgestoßen hätte, den kaum je ein Mensch betreten hatte. Er konnte nicht mehr widerstehen. Er konnte dieses Buch nicht einfach ins Feuer werfen. Stattdessen hatte er es unter seiner Kutte versteckt , in seine Zelle genommen und darin gelesen. Die ganze Nacht hindurch.
Ja, er war schwach. Aber es reute ihn nicht einmal. Wie durch einen geheimnisvollen Zauber war während dieser Nacht direkt vor seinen Augen eine ihm bisher unbekannte Welt erstanden und hatte seine karge Zelle in einen
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