Die Feuer von Córdoba
mir bis zum heutigen Tag schwer, es zu verstehen . Der Wille des Herrn ist so unbegreiflich, dass ich mich auch heute noch oft nach dem Warum frage. Wie sehr jedoch würde ich mit Gott und meinem Schicksal hadern, wenn ein Mensch für Isabellas Tod verantwortlich gewesen wäre.«
Er blickte auf, und Anne sah, dass in seinen blauen Augen Tränen schimmerten. Am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte ihn getröstet, aber das war natürlich unmöglich. Einen Kaiser nimmt man nicht einfach in den Arm. Armer Mann, dachte sie. Wir scheinen mehr als eine Gemeinsamkeit zu haben.
»Nun, genug der Trübsal«, sagte Karl V. und gab sich einen Ruck. »Lasse Sie uns stattdessen von Erfreulichem reden. Ihr Quartier entspricht Ihren Wünschen?«
»Ja, danke, Majestät, ich kann mich wahrlich nicht beklagen .«
»Sollte etwas fehlen, werde ich dafür sorgen, dass Sie es alsbald bekommt. Sie muss sich in der nächsten Zeit für mich bereithalten . Es wird viel für Sie zu tun geben, da ich wünsche, dass Sie mich zu den Ketzerprozessen begleitet, die morgen früh beginnen. Der Inquisitor hat seinen Schreiber neben sich, weshalb also sollte der Kaiser nicht auch durch einen Mann – oder eine Frau – seines Vertrauens unterstützt werden?«
Die Worte trafen Anne wie Peitschenhiebe aus heiterem Himmel. Sprachlos starrte sie den Kaiser an. Für einen kurzen Augenblick glaubte sie, sie hätte sich verhört. Immerhin sprach er kein modernes, sondern ein altmodisches Deutsch mit einem südlichen Akzent. Außerdem benutzte er manchmal Wörter, die vermutlich Dialekt waren oder einfach veraltet und im 21. Jahrhundert unbekannt. Ja, wahrscheinlich hatte sie den Kaiser nur nicht richtig verstanden.
»Was ist geschehen? Sie sitzt da und ist erstarrt wie Lots Frau«, sagte der Kaiser. »Hat Sie etwa die Sprache verloren?«
Nein, dachte Anne, die Sprache habe ich nicht verloren. Aber es kann doch nicht wahr sein, dass ausgerechnet ich zu diesen Prozessen gehen muss, bei denen auch Giacomo de Pazzi anwesend ist. Es war einfach unglaublich. Offenbar war sie gerade mittendrin in einer Pechsträhne. Erst schickte Cosimo sie von seinem Landgut fort in die ihr völlig fremde Stadt zu Leuten, denen sie nicht willkommen war. Dann, gerade als sie begonnen hatte sich einzugewöhnen, wurde sie Juan Martinez’ Haus wieder entrissen und zum Kaiser befohlen . Und um dem Ganzen nun die Krone aufzusetzen, war es ihrem neuen Arbeitgeber auch noch eingefallen, dass sie ihn als Schreiber zu den Ketzerprozessen begleiten sollte. Ausgerechnet sie. Karl V. schien das Ganze für eine gute Idee zu halten, doch sie konnte diese Meinung nicht teilen. Wie lange würde es wohl dauern, bis Giacomo begriffen hatte, wer sie war und wer sie geschickt hatte? Eine halbe Stunde? Zehn Minuten? Und dann? Würde er ihr und Cosimo die Inquisition auf den Hals hetzen? Giacomo de Pazzi war wahnsinnig. Ihm traute sie alles zu. Wenn sie morgen den Gerichtssaal betrat, konnten sie ihren ganzen Plan vergessen. Dann war es aus. Vielleicht sogar endgültig.
»Ich warte auf eine Antwort«, sagte der Kaiser, verschränkte die Arme vor der Brust und streckte sein Kinn vor. Der Ausdruck in seinen Augen wurde kühl. Anne wurde bewusst, dass ihr Schweigen als Frechheit ausgelegt werden konnte. Sie musste sich zusammenreißen und endlich etwas sagen. Beim Kaiser in Ungnade zu fallen war bestimmt nicht ungefährlicher als in Córdoba von Giacomo de Pazzi erwischt zu werden. Dabei hatte sie gerade angefangen zu glauben, dass sie ihre Arbeit für den Kaiser sogar genießen würde. Er war nett, sympathisch, ein Mann, mit dem man reden konnte.
Mach dich nicht lächerlich, dachte Anne. Du kannst nicht mit Karl V. reden, als wäre er einer deiner Kollegen aus der Redaktion. Er ist der Kaiser. Was er sagt, ist Gesetz. Du wirst dir schon etwas einfallen lassen müssen. Und lass es bitte schnell geschehen, bevor er seine Meinung ändert und dich einfach mit einem Fingerschnippen in den Kerker werfen lässt. Aber was um alles in der Welt sollte sie ihm sagen? Die Wahrheit? Sollte sie ihm etwa erzählen, dass ausgerechnet der Inquisitor der Mörder ihres Mannes war und dass sie ihm auf keinen Fall – zumindest noch nicht zu diesem frühen Zeitpunkt – begegnen wollte? Würde er ihr das glauben? Wohl kaum.
»Verzeiht, Majestät, aber ich …«, stammelte sie, während ihre Gedanken wie aufgescheuchte Hühner in ihrem Kopf herumflatterten. Fiel ihr denn gar nichts ein? Keine Ausrede wie »ich
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