Die Feuer von Córdoba
den ganzen Tag beanspruchen. Keine Zeit, um noch die Stadt auf der Suche nach Señor Martinez zu durchstreifen. Er musste sein Vorhaben auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Morgen würde der Prozess beginnen, am Sonntag war die Vollstreckung der ersten Urteile geplant. Am Montag. Ja, am Montag würde er den Schreiber Martinez aufsuchen. Und er betete inständig, dass bis dahin kein Unglück geschehen möge.
Ein Wunder wird gebraucht
Ein Lakai öffnete Anne die Tür zu den kaiserlichen Gemächern , und sie betrat den Raum, der Karl V. offenbar zurzeit als Wohn- oder Arbeitszimmer diente. Die schöne Holzvertäfelung an den Wänden und der Decke, die schweren Vorhänge aus dunkelbraunem, mit kleinen goldenen Blüten besticktem Stoff vor den beiden Fenstern, ein orientalischer Teppich auf dem Boden und der große offene Kamin an der Stirnseite des Raums verliehen dem Zimmer eine behagliche Atmosphäre . In der Mitte des Zimmers stand ein wunderschöner großer Schreibtisch aus rötlichem Holz mit kunstvoll gedrechselten Beinen. Er hatte zwar keinen Aufsatz, aber dennoch hätte Anne Wetten darauf abschließen mögen, dass dieses Möbelstück das eine oder andere Geheimfach in sich barg. Und wenn nicht Karl V. auf seinem Lehnstuhl gleich hinter dem Schreibtisch gesessen und sie mit seinen klaren blauen Augen gemustert hätte, sie hätte wohl kaum der Versuchung widerstehen können, den Schreibtisch einer gründlichen Prüfung zu unterziehen.
»Offenbar ein französischer Tisch«, sagte Karl V., klopfte auf die polierte Tischplatte und fuhr dann mit beiden Händen an der Kante entlang, als ob er etwas suchen würde . »Aber bisher hat er sein Geheimnis noch nicht preisgegeben .«
Anne spürte, dass sie rot wurde. Waren ihre Gedanken etwa so leicht zu lesen?
»Majestät«, sagte sie und machte einen Hofknicks, der ihr diesmal schon viel besser gelang. Aber sie hatte schließlich auch den ganzen Morgen seit dem Frühstück vor dem Spiegel in ihrem Zimmer geübt. »Ihr habt nach mir gerufen?«
»Ja, in der Tat«, sagte Karl V. und blickte von dem Schreibtisch auf. »Ich benötige Ihre Dienste. Ich habe gestern Abend einige Briefe erhalten, die noch heute beantwortet werden müssen. Ich werde Ihr die Antworten sogleich diktieren.« Er deutete auf das Schreibpult, das direkt neben dem Schreibtisch stand und auf dem bereits Feder, Tinte sowie mehrere Bogen Pergament bereitlagen. Anne nahm die Feder in die Hand und wartete, während Karl V. in einem Stapel Papieren blätterte und schließlich eines davon hervorzog.
»Das erste Schreiben geht nach Rom«, sagte er und warf ihr über den Rand des Schriftstücks einen spöttischen Blick zu, da er sie gerade dabei erwischte, wie sie an ihrer steifen Halskrause zupfte. »An den Kragen wird Sie sich noch gewöhnen , so wie alle. Ist Sie bereit?«
»Jawohl, Majestät«, erwiderte Anne und machte einen erneuten Hofknicks.
»So schreibe Sie denn: Córdoba, 1 aprile, Anno Domini 1544. Caro Signor de Medici …«
Karl V. sprach ein fließendes, akzentfreies Italienisch, sodass Anne kaum Mühe hatte, dem Diktat zu folgen. In dem Schreiben ging es um den Dank für eine Einladung und den Austausch einiger höflicher Floskeln. Nichts von staatsmännischer Bedeutung, keine Geheimnisse und gewiss auch nichts, das nicht bis morgen Zeit gehabt hätte. Ebenso war es mit Deutsch und Englisch, in denen er ihr die nächsten Briefe diktierte. Wahrscheinlich hätte er sogar normalerweise die Briefe mit eigener Hand geschrieben.
Das ist ein Test, dachte Anne, während Karl V. mit dem vierten Brief begann, diesmal auf Spanisch. Er will prüfen, ob ich wirklich so viel kann, wie ich behauptet habe. Dann folgte Französisch. Anne begann zu schwitzen, und der eng sitzende steife Kragen kratzte an ihrem Hals. Der Kaiser bewies auch im Französischen eine geradezu bewundernswerte Aussprache und Wortgewandtheit. Allerdings war sie sich mit der Rechtschreibung nicht so sicher wie in den anderen Sprachen. Sie beherrschte schließlich nur das Französisch des 21. Jahrhunderts .
»So gib Sie mir die Briefe«, sagte Karl V., als sie den letzten Gruß geschrieben hatte.
Sie reichte ihm die Pergamente, und wie sie bereits geahnt hatte, studierte er sie mit der gleichen Aufmerksamkeit, mit der ein Lehrer eine Klassenarbeit korrigiert.
»Sie hat eine sehr angenehme, gut lesbare Schrift«, sagte er schließlich und nickte anerkennend. Wenn sie Fehler gemacht hatte, bemerkte er sie entweder nicht oder
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