Die Feuer von Córdoba
wenn sie wieder auf dem Heimflug nach Hamburg war, würde sie auf das Ende dieser seltsamen, verrückten Reise trinken und sich gleich eine ganze Flasche Champagner gönnen.
Es war angenehm, in einem Flugzeug mit Namen angesprochen zu werden und nicht mit jeder Bewegung die Getränke auf dem Klapptisch zum Umstürzen zu bringen. Einer von vielen Vorteilen der ersten Klasse. Hier hatte man viel Platz für die Beine, die Sitze waren breit und bequem, und die Besatzung war noch freundlicher zu den Passagieren. Ob Cosimo Mecidea ihr wohl einen Rückflug erster Klasse nach Hamburg spendieren würde? Leisten konnte er es sich. Wahrscheinlich würde er die dadurch entstehenden Mehrkosten auf seinem Konto nicht einmal bemerken. Sie würde ihn einfach darum bitten – nein, sie würde es von ihm fordern . Nach allem, was er ihr in dieser Woche zugemutet und was sie für ihn getan hatte, hatte sie es verdient.
Anne lehnte sich in ihrem breiten Sessel zurück, schlug die Beine übereinander und sah aus dem Fenster. Unter ihnen lag schwarz und glitzernd das Mittelmeer. Sie entdeckte ein Schiff. Vielleicht war es ein Kreuzfahrtschiff, angefüllt mit sonnenhungrigen, zahlungskräftigen Feriengästen, und gewiss war es kein kleines Schiff, wenn sie es aus zehntausend Metern Höhe erkennen konnte. Trotzdem wirkte es aus ihrer Perspektive so unbedeutend wie ein kleiner weißer Fleck. Am Horizont war ein schmaler dunkelgrüner Streifen sichtbar. Sie näherten sich nun allmählich der spanischen Küste. Und darüber, sozusagen zwischen Horizont und dem unendlichen Blau des Himmels, streichelte die Sonne die silberne Tragfläche des Flugzeugs und ließ sie schimmern wie eine Schwertklinge. Wie das Schwert eines Königs oder das eines Ritters. Vielleicht eines Kreuzritters auf dem Weg nach Jerusalem.
Es fiel Anne schwer, sich vorzustellen, dass sie noch vor wenigen Stunden in Jerusalem gewesen war und dass sie in weniger als einer Stunde in Madrid dieses Flugzeug wieder verlassen würde, um dort erneut Cosimo Mecidea zu treffen. Cosimo Mecidea, der in Wahrheit ein echter Medici war, geboren 1447 in Florenz, und sich den Namen Mecidea nur zur Tarnung zugelegt hatte. Und natürlich würde sie auch Anselmo wieder sehen, seinen … Sekretär?
Diener, dachte Anne und legte ihren Kopf gegen das kühle Plastik der Bordwand, obwohl auch dieses Wort nicht passte. Natürlich war Anselmo auch Cosimos persönlicher Diener, aber vor allem war er sein Freund, sein Waffenbruder.
Die beiden Männer hatten ein tiefes, inniges Verhältnis zueinander. Ihr gemeinsames Schicksal hatte sie über die Jahre zusammengeschweißt. Es waren viele Jahre. So viele, dass Anne es nie und nimmer geglaubt hätte, wenn sie nicht mittlerweile von der Existenz des Elixiers der Ewigkeit überzeugt gewesen wäre. Sie selbst war schließlich bereits zweimal in seinen Genuss gekommen. Das Elixier der Ewigkeit.
Unwillkürlich fuhr sich Anne mit der Zunge über die Lippen, als könnte noch von der vergangenen Nacht ein Tropfen des Elixiers daran kleben. Der Geschmack von Honig, Mandeln und Veilchen vereinte sich zu einer einzigartigen Komposition, zu einem Bouquet, so köstlich, dass sie am liebsten auf der Stelle …
Anne richtete sich wieder auf und durchwühlte ihre Handtasche, um die Flasche mit dem Elixier der Ewigkeit zu finden. Erst nach einer Weile fiel ihr ein, dass sie nicht mehr da sein konnte. Sie hatte sie in ihrem Hotelzimmer weggeworfen, gleich nachdem sie sie geleert hatte. Verärgert ließ sie ihre Handtasche auf den Boden fallen. Wenn sie in Madrid war, musste sie Cosimo sofort sagen, dass er ihr mehr von dem Elixier geben sollte. Geben musste. Sie musste es haben, sie wollte es trinken, immer und immer wieder diesen herrlichen Duft einatmen, diesen Geschmack auf ihrer Zunge kosten und …
In diesem Augenblick wurde Anne klar, was mit ihr vorging, und der Gedanke durchzuckte sie wie ein Blitz. Sie gebärdete sich wie eine Süchtige. Cosimo hatte ihr erklärt, dass dies eine der Gefahren des Elixiers war – allein wegen des Geschmacks wollte man immer mehr und immer öfter davon trinken. Aber hatte er nicht auch erwähnt, dass diese Abhängigkeit erst nach häufigerem Konsum eintrat? Wenn er sich nun geirrt hatte? Wenn sie als Frau des 21. Jahrhunderts schneller auf das Elixier der Ewigkeit reagierte, als es zu seiner Zeit üblich gewesen war? Oder wenn die Abstände, in denen sie das Elixier getrunken hatte, zu kurz gewesen waren? Was dann?
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