Die Feuer von Córdoba
sehe, auch dir sind diese Gedanken nicht fremd«, sagte Cosimo. »Wenn wir immer wieder Menschen, die uns lieb und teuer sind, hinter uns lassen müssen, bis wirklich nur noch wir beide übrig und alle anderen, die wir jemals gekannt haben, zu Staub zerfallen sind – was hält uns dann noch in diesem Leben? Ich fürchte mich vor der Welt, die uns in der Zukunft erwartet, Anselmo. Sie wird so anders sein als die, in der wir aufgewachsen sind. Im Grunde ist das natürlich auch gut so, denn die Welt muss sich ändern, sich wandeln, voranschreiten. Stagnation bedeutet schließlich nichts anderes als Tod. Doch das wird nicht für uns gelten. Wir beide, Anselmo, du und ich, wir werden uns nicht im gleichen Maße verändern wie unsere Umgebung, und irgendwann gehören wir gar nicht mehr dazu. Noch ist es uns nicht so bewusst, noch kennen wir genügend Familien, Städte und Dörfer, die sich in den vergangenen siebzig Jahren kaum verändert haben. Aber was wird in hundert oder gar mehreren hundert Jahren sein? Nein«, er schüttelte den Kopf, hob eine der Flaschen vorsichtig hoch und liebkoste das schimmernde Kristall, »ich will nicht zu einem Leben verdammt sein, für das der Mensch nicht geschaffen wurde. Wenn die Zeit gekommen ist, werden wir hiermit der Natur zu ihrem Recht verhelfen und unseren verhängnisvollen Fehler beheben können.«
Die Sonne versank gerade als blutroter Ball am Horizont , und auch die letzten Funken in den Flaschen erloschen . Jetzt war die Flüssigkeit nur noch grün, ein einfaches, sattes Grün wie eine saftige Wiese. Es war ein schöner und zugleich tröstlicher Anblick. Zu wissen, dass man jederzeit den Schmerz, die Trauer beenden und Ruhe finden konnte. Ruhe …
»Ihr habt Recht, Cosimo«, sagte Anselmo leise.
Sorgsam wickelten sie die Flaschen in Tücher und verstauten sie in den ledernen Taschen, in denen Cosimo sie transportiert hatte. Sie waren gerade damit fertig, als sich Hufschläge näherten.
»Besuch? Zu so später Stunde?« Cosimo runzelte die Stirn. »Das hat gewiss nichts Gutes zu bedeuten. Zünde die Kerzen an, Anselmo, ich gehe, um zu sehen, wer es ist.« Doch er war noch nicht einmal bis zur Tür gekommen, als diese auch schon aufgestoßen wurde. »Bartolomé!«, rief Cosimo aus, und seiner Stimme nach zu urteilen war er gleichermaßen verärgert wie beunruhigt. »Was …«
»Ich bringe Nachrichten, Cosimo«, keuchte Bartolomé. Der Zigeuner war völlig außer Atem. Sein schwarzes Haar war zerzaust, sein Gesicht rußgeschwärzt, und Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Seine Kleidung stank nach beißendem Rauch, als wäre er mit knapper Not den Feuern der Hölle entkommen. Und so wie er aussah, musste er wahrlich geritten sein, als wäre der Teufel ihm gefolgt. »Schlimme Nachrichten.«
Cosimo warf Anselmo einen beunruhigten Blick zu.
»Hol etwas zu essen, Anselmo. Ich …«
Doch Bartolomé schüttelte heftig den Kopf und wehrte mit beiden Händen ab. »Nein«, stieß er mühsam hervor. Er rang nach Luft und hustete hohl. »Keinen Hunger … ich …«
»Wenigstens einen Becher Wein solltest du zu dir nehmen, Bartolomé«, sagte Cosimo und gab Anselmo einen Wink. »So lasse ich dich bestimmt nicht wieder in den Sattel steigen. Setz dich, mein Freund, und komm erst zu Atem.«
Er zog dem Zigeuner einen Stuhl näher heran. Bartolomé ließ sich keuchend auf den Stuhl fallen, und Anselmo stürzte in die Küche, füllte in Windeseile einen Krug mit Wein und nahm drei Becher aus dem Bord. Er hatte Angst, obwohl er nicht wusste, wovor, und sein Herz klopfte bis zum Hals, als er wieder in die Halle lief und den Krug Wein auf den Tisch stellte. Er füllte einen der Becher und reichte ihn Bartolomé. Der Zigeuner setzte ihn dankbar an die Lippen und leerte ihn in einem Zug.
»Das tut gut«, stieß er heiser hervor und wischte sich mit dem Ärmel seines Hemds den Mund ab, was eine helle Spur auf seinem schwarzen Gesicht hinterließ.
»Und nun rede, Bartolomé«, sagte Cosimo. Seine Stimme klang ruhig, aber seine Finger umklammerten seinen Becher vor Anspannung so fest, dass sich die Fingerknöchel weiß unter seiner Haut abzeichneten. »Was ist geschehen?«
»Das Kloster …«, keuchte Bartolomé. Seine schreckgeweiteten Augen huschten von einem zum anderen. »Mutter Maddalena … die Nonnen … sie sind …«
Anselmos Knie wurden plötzlich weich, und kraftlos ließ er sich auf einen der anderen Stühle sinken.
»Mutter Maddalena? Was ist mit dem Kloster?«,
Weitere Kostenlose Bücher