Die Feuer von Córdoba
Sie steckte das Geldstück wieder in die Tasche ihres Kleides. Dann stellte sie die Rückenlehne gerade und suchte nach dem Sicherheitsgurt. In der vergangenen halben Stunde hatte sie über Cosimo, das Pergament aus Jerusalem, Giacomo de Pazzi und das Elixier der Ewigkeit nachgedacht. Und sie war zu einem Ergebnis gekommen. Ihr Entschluss stand fest. Sie würde Cosimo das Pergament überreichen und die nächste Maschine nach Deutschland nehmen. Wieder zu Hause, würde sie ihren Chef anrufen und um mindestens drei Monate unbezahlten Urlaub bitten, sich in ihrer Wohnung einschließen, an die Ostsee fahren oder in ein Kloster gehen und versuchen, alles, was sie in den vergangenen Tagen erlebt hatte, für immer aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Cosimo war ein netter Kerl – während ihrer beiden merkwürdigen Reisen hatte sie ihn wirklich schätzen gelernt –, aber diesmal würde sie ihm nicht helfen können. Die Vergangenheit war nicht mehr ihr Problem. Es war höchste Zeit, an sich selbst zu denken.
Sie überflogen bereits die Randbezirke von Madrid und steuerten auf den Flughafen zu. Bald war es so weit. Annes Herz begann heftig zu klopfen. Sie zweifelte keineswegs daran, was sie tun wollte, oder besser gesagt tun musste. Es bereitete ihr nur Kopfzerbrechen, wie sie Cosimo ihre Entscheidung erklären sollte. Er hatte eine Art, ihr in die Augen zu sehen, die geradezu unheimlich war. Vielleicht lag es an seinem Alter. Er war über fünfhundert Jahre alt und verfügte über eine Lebenserfahrung, die jedes Vorstellungsvermögen sprengte. Er konnte Menschen ganz nach seinem Willen manipulieren. Und er war es gewohnt zu bekommen, was er wollte. Wie würde er wohl reagieren? Fröhlich würde ihn ihr Entschluss ganz sicher nicht stimmen, so viel stand fest. Aber würde er ihre Entscheidung akzeptieren? Würde er versuchen sie zu überreden? Würde er sie erpressen, sie zwingen? Oder würde er einfach nur wütend werden? Anne lief eine Gänsehaut über den Rücken. Seit sie Cosimo kannte, hatte sie ihn noch nie wirklich wütend erlebt. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass es nicht klug war, sich den Zorn eines fünfhundert Jahre alten Mannes zuzuziehen. Es erschien ihr wie eine Naturgewalt, der man als gewöhnlicher Sterblicher besser aus dem Weg gehen sollte. Schließlich begab man sich auch nicht freiwillig in das Epizentrum eines Erdbebens oder in den Krater eines kurz vor dem Ausbruch stehenden Vulkans. Es sei denn, man wollte Selbstmord begehen.
Anne holte tief Luft, schloss die Augen und klammerte sich an den Armlehnen ihres Sitzes fest, während das Flugzeug spürbar an Höhe verlor. Wenn sie nachher mit Cosimo sprach, würde sie sehr vorsichtig sein müssen.
Etwa eine halbe Stunde später stand Anne bereits in der Gepäckabfertigung am Laufband und wartete auf ihren Koffer. Eigentlich war es albern von ihr gewesen, den kleinen Handkoffer in Jerusalem aufzugeben. Ebenso gut hätte sie ihn als Handgepäck mit an Bord nehmen können. Sie hatte nur das Nötigste für drei Tage gepackt. Als sie am Donnerstag früh von Hamburg nach Jerusalem geflogen war, hatte sie nicht damit gerechnet, Europa ein weiteres Mal zu durchqueren, wenn auch diesmal von Ost nach West.
Endlich erschien ihr Koffer auf dem Laufband. Zwischen den riesigen Reisekoffern und Golftaschen, die den anderen Passagieren der ersten Klasse gehörten, wirkte das kleine braune Ding wie ein Spielzeugkoffer, den ein Kind versehentlich auf dem Laufband abgestellt hatte. Eine ältere Dame in einem zweifellos maßgeschneiderten Kostüm schien das auch zu finden. Sie sprach mit ihrem Begleiter, deutete auf Annes Koffer und lachte. Aber Anne achtete nicht weiter auf sie. Sie schulterte ihre Handtasche, ging zum Laufband, griff nach ihrem Koffer und verließ die Halle.
Sie trat durch die großen Glastüren und stand plötzlich mitten im Gewühl und im Lärm. Männer, Frauen und Kinder riefen durcheinander und fielen sich in die Arme. Hunde winselten und jaulten vor Wiedersehensfreude oder kläfften einander wütend an. Kofferrollen klapperten und quietschten über den glatten Boden. Ein Handy klingelte durchdringend mit der Melodie von Beethovens Fünfter, während eine Gruppe Jugendlicher sich um eine Säule herum auf den Boden gesetzt hatte und Lieder grölte, die nach Schlachtgesängen spanischer Fußballfans klangen. Über Lautsprecher wurden Falschparker ermahnt, eintreffende Flüge angekündigt, Personen gesucht. Anzeigetafeln mit blinkenden
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