Die Feuer von Córdoba
Besitz ergriffen?
Pater Giacomo stürmte mit langen Schritten zu seinem Pferd und holte etwas aus der Satteltasche. Für einen kurzen Augenblick konnte Stefano den Blick auf eine Flasche erhaschen, in der eine Flüssigkeit blutrot im Sonnenlicht funkelte.
»Du, mein Elixier, du bist mein Freund, mein Ratgeber. Du wirst mir helfen, ihn zu finden, nicht wahr?«, sagte der Pater leise und liebkoste dabei die Flasche. »Du wirst mir den Zeitpunkt zeigen, wann er das Haus verlassen hat und …« Er richtete seinen Blick auf Stefano, als würde er sich plötzlich an seine Anwesenheit erinnern. Seine Augen schleuderten Blitze. »Was stehst du da noch herum? Verschwinde! Und wage es ja nicht, dich vor morgen Abend wieder zu zeigen! Ich will allein sein! Begreifst du das endlich?«
Und bevor Pater Giacomo sich bücken und auch nach Stefano Steine werfen konnte, trat er seinem Pferd in die Flanken und galoppierte davon.
Lass es Liebe sein
Ruhelos lief Stefano in seiner Zelle auf und ab. Sein ganzes Leben hatte er in kleinen Klosterzellen verbracht. Nie hatte er in einem breiten, weichen Bett geschlafen, nie hatte er einen jener großen luftigen Räume sein Eigen genannt, wie Adlige oder reiche Kaufleute sie bewohnten. Er war die Enge und die Schlichtheit der Zellen gewöhnt. Diese Einfachheit beruhigte ihn und verlieh ihm Sicherheit. Insbesondere hier in Córdoba , wo die vielen Pflichten für die heilige Inquisition ihm kaum noch Zeit für anderes ließen, genoss er es, am Ende eines langen Tages in seine kleine stille Zelle zurückkehren zu können. Hier gab es keinen Prunk, der das Auge ablenkte. Hier gab es keine lärmenden Massen und auch nicht das ununterbrochene Geplapper der Leute. Hier war er allein, und er konnte dem Herrn gegenübertreten, so wie er war.
Doch an diesem Tag schien er in seiner kleinen Kammer zu ersticken. Wie ein gefangenes Raubtier raste er zwischen den Wänden hin und her. Mit bloßen Händen hätte er die Mauern niederreißen mögen, um wieder atmen zu können. Sein Kopf schien zu brennen. Immer wieder sah er Pater Giacomo, von wilder Raserei gepackt, in der Tür der verlassenen Hazienda stehen. Er sah die Flasche mit der blutroten Flüssigkeit in seinen Händen, die er liebkost hatte wie ein geliebtes Kind. Und er hörte ihn murmeln: »… mein Elixier, du bist mein Freund, mein Ratgeber …« Wieder und wieder spulte sich diese Szene vor seinen Augen ab. Er hatte das Gefühl, allmählich den Verstand zu verlieren.
Stefano hatte die Flasche sofort erkannt. Es handelte sich um das kostbare Kristallgefäß, aus dem ihm vor vielen Jahren Pater Giacomo das Blut Christi zu trinken gegeben hatte. So hatte er es wenigstens genannt. Hatte er ihn damals angelogen ? Die Frau – offenbar seine Mutter – hatte von einem »Elixier der Ewigkeit« gesprochen. War es etwa diese Flüssigkeit , die Pater Giacomo in der Kristallflasche aufbewahrte ? Und was wollte er damit auf der Hazienda? Was wollte er erreichen? Was trieb ihn? Welcher Wahnsinn hatte von ihm Besitz ergriffen? Oder war er selbst es, der nun aufgrund der Einflüsterungen fremder Frauen und des Einflusses verbotener Schriften allmählich jeden Bezug zur Wirklichkeit verlor und stattdessen in einer albtraumhaften, von Zauberern, Hexen , Intrigen und Giften dominierten Fantasiewelt lebte?
Stefano rannte im Kreis, seine Gedanken wirbelten um ihn herum wie Herbstblätter, keiner von ihnen ließ sich fassen , keiner festhalten. Was sollte er tun? Wem sollte er glauben ? Pater Giacomo? Seiner Mutter – wenn sie es denn überhaupt war? Wie sollte er das je nachprüfen? Sollte er Mutter Maddalena glauben? Dem Kaiser? Dem Papst? Oder niemandem?
Ihm wurde schwindlig. Die Wände, das Bett, das schmale Fenster, der kleine Tisch, der Stuhl – alles drehte sich um ihn, und schließlich stürzte er zu Boden. Sein Kopf schlug auf der Kante der Holzpritsche auf. Ein Meer bunter Lichter explodierte vor seinen Augen, dann wurde alles dunkel.
Als Stefano die Augen wieder aufschlug, warf das Fensterkreuz einen langen Schatten in seine Zelle. Die Sonne ging gerade unter, und die weißen Wände sahen aus, als wären sie mit flüssigem Gold und Purpur übergossen. Er lag immer noch auf den kalten harten Steinfliesen. Sein Kopf schmerzte, und als er vorsichtig seinen Hinterkopf abtastete, fühlte er dort eine riesige Beule. Eine leichte Übelkeit regte sich in seinem Leib, aber seine Gedanken waren klar und ruhig.
So hat letztlich alles auch sein
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