Die Feuer von Córdoba
vor der Verfolgung durch die Inquisition fürchten musste, noch schöner und liebreizender schien als zuvor. Stefano, ihr Sohn. Anne betrachtete seine schlanke Gestalt, das ausgeprägte Profil, die schönen, im Licht der Fackeln glänzenden braunen Augen, die so traurig waren. Am Nachmittag, während Anselmo , Cosimo und Karl V. noch auf der Jagd waren, hatte sie ein langes Gespräch mit ihm geführt. Offenbar fühlte er sich mitschuldig an dem, was Giacomo getan hatte. Nie würde sie seine Worte vergessen: »Niemand kann etwas Böses allein tun. Da sind immer auch die anderen, die ihn anstacheln, dazu treiben, ihm helfen oder einfach danebenstehen und gar nichts unternehmen, um ihn aufzuhalten. Auch sie trifft Schuld.« Wenigstens hatte Anselmos Talent für heute Abend jede Spur der Traurigkeit aus seinen Augen vertrieben. Es fiel ihr immer noch schwer zu begreifen, dass dieser Mann, ein Priester, ein Mönch, tatsächlich ihr Sohn war. Er war ihr so fremd. In seinem Kopf gingen Gedanken um, denen sie kaum folgen konnte. Und doch war er ihr auf seltsame Art vertraut. Seine Nase hatte er von seinem Großvater, ihrem Vater. Und manchmal machte er eine Bewegung, und sie glaubte, Giuliano würde an seiner Stelle sitzen.
Dann fiel ihr Blick auf Karl V. Er saß direkt neben ihr, so nahe, dass sich beim Essen manchmal ihre Hände berührten. Seine blauen Augen funkelten, er lachte, er scherzte. An diesem Abend gab es keine Krone, kein riesiges Reich, geschüttelt von Streitereien, Glaubenskämpfen und kleinlichen Auseinandersetzungen um Ränge und Kompetenzen. Es gab nur einen klugen, humorvollen, feinfühligen, bescheidenen Mann, der gemeinsam mit seinen Freunden aß und trank.
Wenn ich nur einen Abend hätte, dachte Anne, einen einzigen in meinem ganzen Leben, und es wäre dieser heutige Abend, ich würde mit niemandem auf der Welt tauschen wollen . Dies hier könnte der Himmel sein.
»Was seufzt Ihr, Señora Anne?«, fragte Anselmo, der sich gerade eine weitere Hasenkeule auf den Teller legte. »Ist Euch etwa nicht wohl?«
»Nein, das ist es nicht«, antwortete Anne. »Es ist nur …«
Karl V. legte ihr sanft eine Hand auf den Arm. »Verzeiht, wenn ich Euch unterbreche, aber vielleicht erlaubt Ihr mir, auszusprechen, was ich in diesem Augenblick fühle und was, wie ich glaube, der Grund für Euren herzerweichenden Seufzer ist?« Anne nickte. »Wenn ein Tag sich als wahres Geschenk Gottes erweist – angefangen mit einer aufregenden, glücklichen Falkenjagd über angenehme Gesellschaft bis hin zum Essen und Trinken, so ist das ein Grund für tiefe Dankbarkeit .« Er hob sein Glas. »Ich danke Euch, Cosimo, und auch Euch, Anselmo, Teresa, Stefano und natürlich Euch, Señora Anne, für diesen wunderbaren Tag. Er wird mir immer im Gedächtnis bleiben.«
Er prostete ihnen zu, und sie tranken alle.
»Den größten Anteil am Jagdglück hatte aber ich!«, rief Anselmo.
»Und deswegen will ich Euch die Geschichte, dass dies heute Eure allererste Falkenjagd war, nicht glauben«, erwiderte Karl V. und drohte ihm mit dem Zeigefinger. »So etwas gehört sich einfach nicht in Anwesenheit Eures Kaisers!«
Alle lachten. Auch Karl V. Dann sah er Anne an. Seine Augen schimmerten. Und plötzlich wusste sie, dass er das Gleiche dachte und fühlte wie sie. Dies war das letzte Mal, dass sie alle an einem Tisch zusammen waren. Etwas schnürte ihr die Kehle zu.
Karl V. schien es zu bemerken. Er legte sacht seine Hand auf ihre.
»Ein Augenblick zählt manchmal mehr als ein ganzes Leben , Anne«, sagte er leise auf Deutsch, während Anselmo an der anderen Seite des Tisches einen Scherz machte und alle Übrigen laut lachten. »Was auch immer uns noch in unserem Leben erwarten mag, diesen Abend wird uns niemand nehmen können.«
Es war bereits weit nach Mitternacht, die Grillen hatten schon lange ihr Konzert beendet, als Stefano und Karl V. sich verabschiedeten, um nach Córdoba zurückzukehren.
»Wollt Ihr nicht noch bleiben, Majestät?«, sagte Cosimo mit weinschwerer Zunge. Er wirkte wie ausgewechselt, heiter , nahezu ausgelassen. »Wenigstens bis morgen früh? Bei Tageslicht wird Euer Pferd den Weg nach Córdoba leichter finden.«
Doch Karl V. schüttelte den Kopf. »Ich weiß Euer Angebot zu schätzen, Cosimo, aber morgen werden wir in aller Frühe nach Toledo aufbrechen. Wichtige Staatsgeschäfte erwarten mich dort. Jetzt, wo der Inquisitor beigesetzt und die Kerker der Inquisition dank Pater Stefano geleert wurden, ist
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