Die Feuer von Córdoba
habe nicht mehr daran gedacht, als ich ins Bett gegangen bin und …«
Sie brach in Tränen aus. Sie fühlte sich so müde, so allein. Und jetzt war auch noch alles umsonst gewesen. Natürlich war es ihre Schuld, daran gab es keinen Zweifel. Sie hätte schließlich an das Drachenöl denken müssen. Und sie hätte auch auf den Ring besser aufpassen können. Aber warum musste das Schicksal sie immer so hart bestrafen?
»Nicht doch, Anne«, sagte Cosimo, nahm sie in den Arm und tätschelte ihre Schultern. »Beruhigen Sie sich. Das alles ist keineswegs so schlimm, wie Sie glauben.«
»Nicht so schlimm?«, schluchzte sie. »Sie haben gut reden, Cosimo, Sie haben auch nicht Ihren Auftrag verpatzt. Aber ich habe schließlich diese Reise deswegen unternommen, nicht wahr? Um Ihnen das Drachenöl zu bringen. Jetzt war alles umsonst. Sie haben ja noch nicht einmal das Rezept, weil es ebenfalls dort geblieben ist.«
Cosimo schüttelte den Kopf. »Sie irren, Anne. Sie haben diese Reise unternommen, um uns im Jahr 1544 das Rezept zu bringen. Und um anschließend dafür zu Sorgen, dass Giacomo de Pazzi das Drachenöl trinkt.«
»Und ich sollte Ihnen nichts davon mitbringen?«
»Nein, das war nicht nötig.«
Anne wischte sich die Tränen von den Wangen und runzelte die Stirn. »Aber haben nicht Sie selbst zu mir gesagt, kurz bevor ich mich auf den Weg gemacht habe – wenn man es so nennen darf –, dass ich Ihnen zwei Flaschen des Drachenöls mitbringen soll? Das haben Sie doch gesagt!«
»Ja, das ist schon richtig«, gab Cosimo zu, und für einen kurzen Augenblick wirkte sein Gesicht schuldbewusst. Dann lächelte er. »Aber ich wette mit Ihnen um einige der besten Gemälde, die sich in meinem Besitz befinden, dass Sie sich geweigert hätten, das Elixier der Ewigkeit zu trinken, wenn Sie gewusst hätten, dass wir die beiden Flaschen mit dem Drachenöl seit 1544 hier im Haus versteckt haben.«
»Sie haben …« Annes Schrecken und ihre Selbstvorwürfe schlugen in Wut um. Sie war so wütend, dass sie eine beinahe unbezwingbare Lust verspürte, Cosimo eine Ohrfeige zu geben . Besser noch zwei. Auf jede Wange eine. »Sie wollen mir damit wirklich ins Gesicht sagen, dass Sie mich von einem Ende Europas zum anderen zerren und vierhundertfünfzig Jahre durch die Zeit schicken, um angeblich etwas zu holen, das sich schon seit Ewigkeiten in Ihrem Besitz befindet? Das ist … Das ist der Gipfel der Frechheit!«
»Anne, wenn Sie nicht in die Vergangenheit gereist wären, hätten wir den Lauf der Zeit verändert.« Cosimo sprach langsam und deutlich, als wäre sie der deutschen Sprache nicht mächtig. »Sie waren dort, Anne. Sie waren im Jahr 1544. Wir haben Sie getroffen, und all das, was Sie erlebt haben, ist wirklich passiert. Und nur deshalb haben wir jetzt auch das Drachenöl. Zusammen mit dem Siegelring Karls V.« Cosimo nahm ihre Hand und ließ etwas auf ihre Handfläche fallen. Es war schwer und kühl. Es war der Siegelring . Der Anblick des kostbaren Schmuckstücks besänftigte sie etwas.
»Karls Ring«, flüsterte sie. Dann blickte sie wieder auf. »Trotzdem begreife ich das alles nicht. Wozu das Ganze? Warum Florenz? Warum Jerusalem und Córdoba? Warum haben Sie so lange gewartet, wenn Sie doch seit Jahrhunderten hatten, was Sie wollten?«
Cosimo seufzte und verdrehte die Augen, als hätte sie zum wiederholten Mal etwas entsetzlich Dummes gesagt.
»Ich bin sicher, eines Tages werden Sie es verstehen, Anne«, erwiderte er. Dann warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. »Doch jetzt haben wir keine Zeit mehr für langwierige Erklärungen . Wir müssen uns beeilen. In etwas mehr als zwei Stunden startet Ihre Maschine nach Hamburg. Und wir wollten vorher noch einen kleinen Ausflug mit Ihnen unternehmen. Wenn Sie sich jetzt bitte umkleiden würden? Ich schätze, in diesem Kleid aus dem 16. Jahrhundert würden Sie nur unnötiges Aufsehen erregen.«
Etwa eine halbe Stunde später stand Anne fertig angezogen und mit gepacktem Koffer vor der Haustür der Hazienda und sah zu, wie Anselmo den Wagen aus der Garage fuhr.
»Da waren früher die Pferdeboxen«, sagte sie zu ihm, als er ausstieg, um das Tor abzuschließen.
»Ja«, erwiderte er, rüttelte noch einmal am Schloss, um zu prüfen, ob es auch wirklich zu war, und lehnte sich dann lässig gegen den Wagen, »Sie haben Recht. Erinnern Sie sich noch an Ricardo?«
Anne musste lächeln. Für Anselmo mochten seither tatsächlich vierhundertfünfzig Jahre vergangen sein.
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