Die Feuer von Córdoba
Oder vielleicht Tage? Und ich sage Ihnen eines: Sie haben mir schon so viel Zeit gestohlen, dass ich keine Lust habe, bis Montag oder noch länger hier in Madrid festzusitzen, ohne zu wissen, warum.«
Cosimo schloss die Speisekarte und legte sie zurück auf den Tisch. Seine Hände zitterten leicht.
Hat er etwa Angst?, fuhr es Anne durch den Kopf. Doch dann sah Cosimo sie an, und sie erkannte, dass er sich keinesfalls fürchtete. Im Gegenteil, er zitterte vor mühsam unterdrückter Wut. Anne bekam feuchte Hände und wäre am liebsten sofort weggelaufen, doch sie wagte es nicht. Sie traute sich nicht einmal, ihren Blick von seinen Augen abzuwenden – Augen, in denen Flammen loderten, als wäre die dunkelbraune Iris lediglich eine dünne, rissige Erdkruste, unter der sich nichts als glühende Lava befand.
»Gestohlene Zeit?«, wiederholte er und lachte kurz auf. »Sie enttäuschen mich. Wirklich, nach allem, was Sie erlebt haben, was wir zusammen erlebt haben, hatte ich gedacht, auch Sie hätten verstanden, worum es in dieser Sache geht. Ich hatte Sie wirklich für intelligenter gehalten.«
Anne schluckte. Das war eine Ohrfeige, und irgendwie war es Cosimo dabei auch noch gelungen, ihr den Eindruck zu vermitteln, dass sie sie verdient hatte. Eigentlich war sie nicht leicht unterzukriegen, aber diesem Mann war sie offenbar nicht gewachsen. Das ärgerte sie maßlos. Weshalb konnte er sich nicht in ihre Lage versetzen und begreifen, dass sie ein Recht hatte, die Wahrheit zu erfahren?
»Ich will doch nur …«
»Ich bin der Meinung, wir sollten das Gespräch vorerst unterbrechen und auf Anselmo warten«, fiel ihr Cosimo ins Wort. Und dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und starrte aus dem Fenster auf die Rollbahn hinaus.
Auch Anne schwieg. Noch nie war sie so behandelt worden. Und dabei kam sie sich auch noch dumm vor. Wie ein kleines dummes ungezogenes Mädchen. Am liebsten wäre sie auf der Stelle gegangen. Doch das wollte sie auch nicht. Es wäre ihr wie ein Eingeständnis ihrer Niederlage erschienen, und das konnte sie nicht zulassen. Also blieb sie sitzen, obwohl sich ihr eigentlich sehr bequemer Sessel plötzlich anfühlte, als hätte jemand eine Hand voll Reißzwecken darauf verteilt.
Über den Wolken
Als Anselmo endlich zurückkehrte, waren kaum zehn Minuten vergangen, doch sie kamen Anne wie Stunden vor.
»Hast du etwas erreichen können?«, fragte Cosimo und sah nur kurz zu seinem Diener und Freund auf.
»Ja.« Anselmo nickte. Sein anfängliches Lächeln war verschwunden. Mit gerunzelter Stirn sah er zuerst Cosimo an, warf Anne einen halb zornigen, halb enttäuschten Blick zu und holte dann ein zusammengefaltetes Papier aus seiner Hemdtasche. Er reichte es Cosimo. »Wir können in einer halben Stunde starten.«
Cosimo nahm ihm das Papier aus der Hand und las es aufmerksam.
»Gut gemacht«, sagte er und erhob sich. »Wir sollten uns jetzt wohl besser zum Flugzeug begeben. Kümmere dich um die Señora.«
Anselmo sah ihm kopfschüttelnd nach, dann wandte er sich Anne zu.
»Was haben Sie getan, Anne?«, fragte er. »So wütend habe ich ihn schon lange nicht mehr erlebt.«
Anne spürte, wie ihre Wangen vor Zorn heiß wurden.
»Ich? Ich soll ihm etwas getan haben?« Sie schnappte nach Luft. »Ich werde von Ihnen und diesem florentinischen Dorian Gray innerhalb einer Woche kreuz und quer durch Europa geschleppt und will nur wissen, weshalb es jetzt nun wieder nach Córdoba gehen soll, und lasse mich nicht mit Ausflüchten abspeisen, und da fragen Sie mich, was ich getan habe? Das ist wirklich ein starkes Stück.«
Anselmo öffnete den Mund und starrte sie fassungslos an.
»Sie wollten über das … das …« Er brach ab und begann von neuem. »Sie wollten über alles reden? Hier? «
Anne verschränkte die Arme vor der Brust und hob trotzig den Kopf.
»Warum nicht? Es ist schließlich mein gutes Recht.«
»Oh, Sie …«, Anselmo schüttelte den Kopf und biss die Zähne zusammen, dass sie das Knirschen hören konnte. »Sie haben überhaupt keine Ahnung. Sie …«
»Richtig«, fiel Anne ihm ins Wort. »Und das will ich ändern.«
»Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Anne«, sagte Anselmo und trat nahe an sie heran. Seine Stimme war leise und hatte nicht wenig Ähnlichkeit mit dem Knurren eines wütenden Tigers. »Wenn Cosimo hier nicht darüber sprechen will, hat er seine Gründe. Und diese Gründe sollten Sie respektieren.«
Anne lachte. »Das soll
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