Die Feuer von Córdoba
nickte. »Also werde ich Ihnen, Anselmo, Giacomo und Stefano in der Vergangenheit begegnen«, zählte sie auf. »Gibt es außerdem noch jemanden, auf den ich mich vorbereiten sollte?«
Cosimo schüttelte den Kopf. »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
Du könntest schon, dachte Anne verärgert, du willst nur nicht. Und ich würde zu gern wissen, weshalb.
»Und wie kann ich Giacomo dazu bringen, das Drachenöl zu schlucken?«, fragte sie. »Er mag zwar wahnsinnig sein, aber dumm ist er nicht. Außerdem kennt er mich. Ich kann mich wohl kaum vor ihn hinstellen und ihm vergiftete Getränke oder Speisen anbieten. Vermutlich schöpft er bereits Verdacht, sobald er erfährt, dass ich in Córdoba bin.«
»Das müssen Sie entscheiden, wenn Sie dort sind.«
Anne verzog das Gesicht. »Das sind nicht gerade umfangreiche Informationen, die Sie mir geben wollen, Cosimo«, sagte sie.
»Es tut mir Leid«, er hob bedauernd die Schultern, »aber ich darf Ihnen wirklich nicht mehr sagen. Jedes weitere Wort könnte Sie beeinflussen – und dadurch den Lauf der Geschichte empfindlich stören.«
»Das habe ich befürchtet.« Anne stieß einen Seufzer aus. Als sie nach Jerusalem flog, hatte sie wenigstens Gelegenheit gehabt, sich auf die Zeit vorzubereiten, in die sie geschickt werden sollte – sie hatte die damaligen politischen Verhältnisse recherchiert, welche Gruppierungen in Jerusalem welche Ziele verfolgten und so weiter. Das hatte ihr bei der Erfüllung ihrer Aufgabe genützt. Diesmal jedoch wusste sie nichts. Das Jahr 1544 in Spanien. Vage Erinnerungen aus dem Geschichtsunterricht tauchten in ihrem Gehirn auf. Die Inquisition hatte damals noch im ganzen Land gewütet. Amerika war natürlich bereits entdeckt. Und regierte zu diesem Zeitpunkt nicht ein Kaiser über Spanien? Irgendetwas von »Reich, in dem die Sonne nicht untergeht« spukte in ihrem Kopf herum. War das Karl der Große gewesen? Aber nein, der hatte viel früher gelebt. Oder doch nicht? Anne wünschte sich sehnlichst ihren Laptop und einen Internetanschluss herbei.
»Sind Sie wenigstens bereit, mir zu sagen, wie lange ich in der Vergangenheit bleiben werde?«
»Natürlich. Etwas mehr als sechs Monate. Um genau zu sein, sechs Monate und zehn Tage.«
»In Ordnung.« Anne stand auf. »Dann werde ich mich jetzt umziehen. Je eher, desto besser.«
»Anne, bevor Sie gehen«, Cosimos Gesicht wurde ernst, »habe ich noch eine Bitte. Wenn Sie wieder zurückkehren, bringen Sie bitte sowohl das Pergament als auch zwei Flaschen des Drachenöls mit.«
Anne sah ihn an. Sein Gesicht war nahezu faltenlos. Das Gesicht eines vierzigjährigen, höchst attraktiven Mannes. Aber seine Augen waren alt. Alt und voller Melancholie und Überdruss.
»Zwei Flaschen?«, fragte sie.
»Ja, bitte. Sie würden mir – und Anselmo natürlich auch – einen großen Gefallen erweisen.«
Anne sah von einem zum andern. Sie wusste zwar nicht, was das Drachenöl bewirken sollte, aber sie konnte es sich vorstellen. Und sie hatte eine Ahnung, wozu Cosimo es in der Gegenwart brauchen würde. Er und Anselmo würden es selbst trinken und dann … Anne wollte den Gedanken nicht zu Ende denken. Plötzlich, nachdem sie sowohl Cosimo als auch Anselmo in der vergangenen Woche mindestens drei Dutzend Mal verflucht und ihnen Pest, Cholera und Lepra zusammen an den Hals gewünscht hatte, stellte sie fest, wie sehr sie die beiden mochte.
Cosimo sah sie eindringlich an, während Anselmo hingegen einen verwirrten Eindruck machte, als hätte er bislang von diesen Plänen nichts gewusst.
»Wären Sie so freundlich, uns diese Bitte zu gewähren?«
Anne schluckte den Kloß hinunter, der plötzlich in ihrer Kehle steckte.
»Ja«, sagte sie schließlich mit belegter Stimme. »Ich werde Ihnen diesen Wunsch erfüllen. Sie können sich darauf verlassen.«
Cosimo schloss kurz die Augen. »Ich danke Ihnen«, sagte er leise. »Anselmo, hol das Elixier.«
Anselmo verschwand und kehrte wenig später mit einem Flakon zurück.
»Das Elixier der Ewigkeit«, sagte er ehrfürchtig und hielt das Fläschchen hoch gegen das Licht der Morgensonne, das durch die Fenster fiel. Die Sonnenstrahlen ließen die dunkelrote Flüssigkeit funkeln wie einen kostbaren, geschliffenen Rubin. Dann reichte er es Anne.
Vorsichtig nahm sie Anselmo den Flakon ab. Das Elixier der Ewigkeit. Es sah wunderschön aus. Anne fiel es immer noch schwer zu akzeptieren, dass diese Flüssigkeit in der Lage war, einen Menschen in die Vergangenheit
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