Die Feuer von Córdoba
Trenngläser, und die haben wir nun einmal nicht. Damals in Florenz, als Giacomo und ich das Elixier der Ewigkeit gebraut haben, hat uns ein Freund meiner Familie, ein Apotheker, sein geheimes Labor zur Verfügung gestellt. Hier haben wir nicht einmal einen Apothekenmörser!«
»Aber wir könnten doch nach Córdoba gehen«, schlug Anne vor. »Dort wird es doch auch Apotheken geben, in denen wir bestimmt die entsprechenden Gerätschaften kaufen oder zumindest leihen können.«
»Das mag einst so gewesen sein«, erwiderte Cosimo, und man merkte ihm an, dass er sich größte Mühe gab, mit Anne etwas höflicher zu reden, als er es eben mit Anselmo getan hatte, »als diese Stadt noch eine blühende Universität besaß, über eine der größten Bibliotheken des Abendlandes verfügte und Gelehrte aller Wissensrichtungen hierher pilgerten, um sich mit anderen Gelehrten auszutauschen. Doch mittlerweile haben sich die Zeiten geändert. Die Inquisition hat überall in diesem Land ihre Spuren hinterlassen, und sie hat ihre Arbeit gründlich gemacht. Bereits vor fünfzig Jahren wurde ein Großteil der Juden, der Mauren und der Gelehrten vertrieben . Bücher wurden verbrannt, wissenschaftliche Abhandlungen und Geräte wurden vernichtet. Seither gelten Glaskolben und Reagenzgläser als Teufelswerk, und kein Mann, der an seinem Leben hängt, würde es wagen, solche Gerätschaften zu besitzen, geschweige denn, es an einen Fremden zu verkaufen. Selbst wenn wir nach Córdoba gingen, würdet Ihr in dieser Stadt höchstens ein Fläschchen Lavendelöl oder harmlose Pulver zur Stärkung der männlichen Zeugungskraft finden. Nein«, er schüttelte den Kopf und ließ das Pergament auf den Tisch fallen, »wie auch immer wir es drehen und wenden, wir werden es nicht schaffen. Wenigstens nicht hier, nicht in dieser Zeit. Damit müssen wir uns abfinden. Es tut mir Leid.«
Cosimo drehte sich um und ging. Deutlich waren seine Schritte auf der Treppe zu hören. Es klang, als wäre er mit einem Schlag fünfzig Kilo schwerer geworden.
Anselmo und Anne blieben wie erstarrt sitzen. Keiner von ihnen war in der Lage, auch nur ein Wort zu sagen oder auch nur einen Finger zu rühren.
Jetzt schneit es, dachte Anne. Mitten im Haus hat es angefangen zu schneien. In zwei oder drei Tagen werden sie uns finden – Bauern oder Hirten oder spielende Kinder. Steif gefrorene Leichen, verborgen unter meterhohen Schneewehen.
Annes Hirn arbeitete ungewöhnlich langsam, doch plötzlich hatte sie eine Eingebung. Sie brach wie ein Sonnenstrahl durch tiefschwarze Gewitterwolken und brachte ihre Gedanken auf Trab. Warum? Warum hatten Cosimo und Anselmo sie ausgerechnet in das Jahr 1544 geschickt, wenn es die falsche Zeit sein sollte? Natürlich konnten sie sich beim Abmessen des Elixiers der Ewigkeit vertan haben, aber hatte nicht Anselmo ihr ins Gesicht geschrien, dass Giacomo am 17. Juni 1544 sterben würde? Und zwar würde er nicht etwa einem Dolchstoß zum Opfer fallen, er würde durch das Drachenöl sterben. Sie hatte keinen Grund, an der Wahrheit dieser Worte zu zweifeln. Anselmo war in dieser Nacht viel zu zornig gewesen, um zu lügen. Also würden sie einen Weg finden , das Drachenöl herzustellen. Es gab noch Hoffnung.
Anne atmete tief ein. Es war ein Gefühl, als hätte sie seit mindestens zehn Minuten die Luft angehalten. Ihr Herz pumpte das Blut wieder schneller durch ihre Adern und ließ die Wärme in ihre Glieder zurückkehren.
»Anselmo!«, rief sie und wandte sich zu ihm um. Er saß immer noch wie festgefroren auf seinem Stuhl, und nur die Tränen, die über sein bleiches Gesicht liefen, verrieten, dass er noch lebte.
»Anselmo!« Er reagierte nicht. Anne stand auf, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. »Anselmo, es gibt noch Hoffnung! Hoffnung! Hörst du?« Sie schüttelte ihn durch wie eine Puppe, sie schrie ihn an, doch er rührte sich nicht. Erst als sie die Hand hob, um ihm eine Ohrfeige zu geben, wandte er ihr langsam, ganz langsam den Blick zu.
»Hoffnung?« Seine Stimme schien von weit her zu kommen .
»Ja, Hoffnung«, sagte Anne und war fest entschlossen, ihm alles zu erzählen, was sie wusste. Sie konnte diesen erbarmungswürdigen Anblick nicht länger ertragen. »Ich weiß es, weil …«
In diesem Augenblick klopfte es zaghaft an der Tür. Anne blieb wie vom Donner gerührt stehen. Wer konnte das sein? Sie beschloss, keinen Laut von sich zu geben. Vielleicht würde der Besucher dann wieder verschwinden. Doch wer
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