Die Feuer von Córdoba
waren eben die Launen eines Mannes, dessen fromme Gedanken Wege einschlugen, denen ein gewöhnlicher Sterblicher wie er nur schwer zu folgen vermochte .
Aber was heute geschehen war, war etwas ganz anderes. Das war nicht Pater Giacomo gewesen, der zu ihm gesprochen hatte. Das war ein Tier, ein Ungeheuer. Niemals, nicht in über sechzig Jahren hatte Stefano so eine Angst vor seinem Lehrer gehabt. Ihm war kalt, als hätte ihn jemand nackt in den Schnee hinausgejagt, und er zitterte immer noch, während er genau beobachtete, wie Pater Giacomo das Anfangsgebet sprach. Seine Stimme klang wieder vertraut, und er schien mit derselben inneren Sammlung beim Gottesdienst zu sein wie gewöhnlich. Wie war das möglich?
Ein entsetzlicher Gedanke zuckte durch Stefanos Kopf. Wenn Pater Giacomo nun gar nicht wusste, was eben in der Sakristei geschehen war? Wenn er tatsächlich besessen war? Was sollte er dann tun? Wen konnte er um Rat und Hilfe bitten? Stefano biss die Zähne zusammen und schloss die Augen . Ihm wurde übel, und voller Inbrunst betete er mit der ganzen Gemeinde: »Herr, erbarme dich. Christus, erbarme dich. Herr, erbarme dich.« Wenn der Teufel es bereits wagte, sich des Inquisitors persönlich zu bemächtigen, des einzigen Mannes in dieser Stadt, der dem Widersacher und seiner Höllenbrut die Stirn bieten konnte, so wäre die Welt auf ewig verloren.
Juan hatte an seinem Plan festgehalten. Wie er es Bartolomé gesagt hatte, hätte er eigentlich an diesem Morgen zu Hause bleiben können. Stattdessen hatte er das Haus zur gewohnten Zeit verlassen und sich auf den Weg nach San Tomás gemacht .
Die Gerüchte, die sich um diese kleine Kirche rankten, waren ihm seit frühester Jugend bekannt. Schon sein Großvater hatte ihm von den Stimmen, dem Stöhnen und den Schreien erzählt, die man hier manchmal hören konnte. Aber das meiste davon hatte er immer als Übertreibung und Aberglauben abgetan. Er selbst hatte zwar noch nie zuvor San Tomás zur Messe oder zum Gebet aufgesucht, doch das lag daran, dass er in einem Viertel auf der anderen Seite der Stadt wohnte und dort zur Messe ging, und nicht daran, weil er den Gerüchten Glauben schenkte und sich von ihnen abschrecken ließ. Als er jetzt jedoch die Kirche betrat , fragte er sich, ob in den Geschichten der Alten nicht doch mehr Wahrheit steckte, als er sich je hatte vorstellen können.
Es war kalt in der Kirche – nicht die typische Kälte nach einer klaren Märznacht, sondern viel eher die Kälte einer Gruft. Sein Atem bildete kleine Wolken, und obwohl er seinen warmen Mantel trug, fror er erbärmlich. Außerdem war es geradezu unheimlich still. Natürlich war es auch in anderen Kirchen still. Kein anständiger Mensch würde schließlich eine Kirche betreten und dort lärmen, laut reden oder gar lachen. Aber in anderen Kirchen war die Stille geprägt von Ehrfurcht, Respekt und dem Wunsch nach innerer Einkehr. Es war eine wohltuende Stille, die sich über die Gläubigen legte wie eine weiche, wärmende Decke. In San Tomás hingegen schien alles den Atem anzuhalten. Selbst die Kerzen wagten kaum zu flackern. Während er, wie es seine Gewohnheit war, langsam nach vorne ging, um vor der Statue der Gottesmutter eine Kerze anzuzünden, klang das Rascheln seines Mantelsaums laut in seinen Ohren. Es schien im Kirchenschiff geradezu anzuschwellen und sich zu vervielfältigen . Und ob er es sich nun einbildete oder nicht, das Echo klang wie das Wispern von Geistern, die ihn von der Höhe der Fenster, Lüster und Galerien aus beobachteten und verspotteten .
Nachdem Juan die Kerze angezündet, eine Münze in den Opferstock geworfen und ein kurzes Gebet zur Gottesmutter gesprochen hatte, nahm er in einer Bank an der Seite Platz. Sein Gewissen plagte ihn. Auch wenn er sich damit tröstete, dass er hier war, weil es ihm um die Sicherheit und das Überleben seiner Familie ging, so blieb es dennoch eine Tatsache, dass er Suzanna belogen hatte. Und das war in all den Jahren ihrer Ehe noch nicht vorgekommen.
Mittlerweile hatten die Glocken aufgehört zu läuten. Juan sah sich verstohlen um. Andere Kirchen waren selbst zu dieser frühen Stunde am Anfang einer weiteren arbeitsreichen Woche gut besucht. Doch anscheinend taten die Gerüchte über San Tomás sowie die seltsame Atmosphäre in der Kirche ihre Wirkung. Außer ihm waren kaum andere Gläubige anwesend – einige alte Weiber, ein paar Bettler, zwei oder drei Bürger. Nur Bartolomé konnte er nirgendwo entdecken. Juans Herz
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