Die Feuer von Córdoba
denke an einen Mann wie … Einen Mann wie zum Beispiel …«, er brach ab.
Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen und funkelten so zornig, dass Stefano für einen kurzen Moment fürchtete, ein Dämon hätte von seinem Lehrer Besitz ergriffen. Aber natürlich war das unmöglich. Kein Dämon hätte es je gewagt, Pater Giacomo anzugreifen. Er war schließlich nicht nur ein einfacher Diener Gottes. Er war im Besitz des heiligen Blutes Christi, Gott selbst hatte ihn in Seiner unermesslichen Güte mit einem ungewöhnlich langen Leben und anscheinend ewiger Jugend gesegnet. Und zu guter Letzt war er der Inquisitor von Córdoba!
»Ja, genau. Es müsste ein Mann sein wie er«, murmelte er vor sich hin, als hätte er vergessen, dass er nicht allein in der Sakristei war. »Das alles trägt seine Handschrift. Und nur er würde nicht zögern, sich mir in den Weg zu stellen, er und seine jämmerliche Ratte, sein lächerlicher Schatten, dieser Narr. Aber wieso weiß ich dann nicht, dass er hier ist? Warum habe ich noch keine Nachricht erhalten? Ich habe schon lange keine Nachricht mehr bekommen. Das ist sonderbar, sehr sonderbar. Sollte etwa das Unvorstellbare doch geschehen sein? Aber das ist unmöglich. Ich werde gleich …«
»Pater?« Stefanos Herz schlug hart gegen seinen Brustkorb . Er hätte Pater Giacomo gern am Arm gepackt, um ihn aus diesem seltsamen Zustand zu reißen, doch er wagte es nicht, ihn zu berühren. So hatte er seinen Mentor noch nie erlebt. Es war beängstigend. »Was habt Ihr gesagt, Pater? Ich habe Euch nicht verstanden.« Natürlich war das eine Lüge. Pater Giacomo hatte laut genug gesprochen, und er hatte jedes Wort gehört, jedes einzelne. Aber von wem sprach der Pater so hasserfüllt, als wäre es der Teufel selbst? Und wer sandte ihm Nachrichten? »Pater Giacomo?«
Pater Giacomo wandte Stefano den Blick zu. Er sah ihn an, als würde er nur langsam aus einem Traum erwachen. Und ganz allmählich verschwand das böse Funkeln aus seinen Augen.
»Unwichtig, Stefano, ganz unwichtig«, sagte er schließlich , und ein flüchtiges Lächeln huschte über sein hageres Gesicht . »Wenigstens für den Moment. Das alles soll nicht deine Sorge sein, zumindest vorläufig nicht. Ich werde mich schon darum kümmern.«
Stefano schluckte. Sein Unbehagen, seine Angst waren immer noch nicht verschwunden. Aber was sollte er jetzt tun? Was konnte er jetzt überhaupt tun? Die einzige Hoffnung , die einzige Waffe, die er besaß, war das Gebet. Und dort draußen warteten die Gläubigen auf den Beginn der heiligen Messe.
»Pater, die Glocken haben bereits aufgehört zu läuten. Wir sollten jetzt …«
»Ja, ja, mein Sohn, wir werden unsere Pflicht erfüllen, mit Freude und Stolz, wie an jedem Morgen«, sagte Pater Giacomo mit einem Lächeln. Dann umklammerte er plötzlich mit der rechten Hand Stefanos Genick und zog ihn so nahe zu sich heran, dass dieser den warmen, leicht nach Magensäure riechenden Atem des Paters in seinem Gesicht spürte. »Wir werden unsere Augen aufhalten, mein Sohn, unsere Augen und unsere Ohren. Wer auch immer gegen uns ist und diesem Pack die Flucht vor der heiligen Inquisition ermöglicht , wir dürfen ihn nicht davonkommen lassen. Niemals . Hörst du?«
Stefano nickte. Wieder sah er das bösartige Glitzern in den Augen des Paters, und nur durch äußerste Willensanstrengung unterdrückte er den Schrei, der aus seiner Kehle aufsteigen wollte. Schauer rannen über seinen Rücken wie hunderte von Spinnen.
»Ja, natürlich, Pater, selbstverständlich«, stammelte er und betete zu Gott, dass seine Stimme nur halb so sehr zitterte wie seine Knie. Pater Giacomo ließ ihn ebenso plötzlich wieder los.
»Lass uns gehen, Stefano«, sagte er in einem Ton, als wäre nichts gewesen. »Wir sollten mit der Messe beginnen.«
Stefano nickte erneut, schob den Vorhang beiseite und läutete die kleine Glocke, die den Gläubigen das Erscheinen des Priesters und damit den Beginn des Gottesdienstes ankündigte . Während sie durch den Altarraum schritten und ihre Plätze einnahmen, überschlugen sich seine Gedanken. Pater Giacomo hatte häufig seltsame Stimmungsschwankungen – im einen Augenblick konnte er ganz in Gedanken versunken sein, im nächsten war er fröhlich und ausgelassen, dann wieder zornig. Sein Gemüt war wie das Wetter in den Bergen. Es konnte sich ebenso schnell ändern und ins Gegenteil verkehren . Im Laufe der vielen, vielen Jahre an seiner Seite hatte sich Stefano daran gewöhnt. Es
Weitere Kostenlose Bücher