Die Feuer von Córdoba
begann schneller zu schlagen.
Ein Glöckchen erklang und forderte die Gläubigen auf, sich zu erheben. Der Priester und sein Gehilfe traten ein. Noch einmal sah Juan sich um. Kein Bartolomé. Hatte der Zigeuner ihn etwa nur zum Narren gehalten? Er richtete seinen Blick wieder nach vorne und erstarrte. Vor dem Altar, mit dem Gewand des Priesters bekleidet, stand kein Geringerer als Pater Giacomo, der Inquisitor von Córdoba. Während die wenigen Gläubigen mit dünnen, zitternden Stimmen ein Lied zu singen begannen, das wie Nebelfetzen auseinander riss und sich in dem hohen Kirchenschiff verlor, glitt Juan rasch einen Schritt zur Seite, um sich vor dem Blick des Inquisitors hinter einer der Säulen zu verbergen. Er biss die Zähne zusammen und verfluchte seine eigene Dummheit. Warum war er so gutgläubig gewesen? Weshalb hatte er Bartolomé getraut? Statt ihn wie versprochen aus der Stadt hinauszubringen , hatte der Kerl ihn direkt zum Inquisitor geführt. Der Zigeuner hatte ihn in eine Falle gelockt. Wenigstens ist es mir vergönnt, noch einmal für mein Seelenheil zu beten, dachte Juan und schluckte bittere Galle. Die Messe nahm ihren gewohnten Verlauf, und nachdem das Evangelium gelesen worden war, stieg Pater Giacomo zur Predigt in die Kanzel. Selten hatte Juan den Inquisitor von Córdoba so nahe vor sich gesehen wie hier. Und noch nie hatte er eine seiner Predigten gehört . Jetzt saß er in seiner Bank, und obgleich ihm die Worte Schauer der Angst über den Rücken jagten, konnte er sich dem Klang und der Kraft dieser Stimme nicht entziehen. Er musste zuhören, ob er wollte oder nicht. Doch was er voller Widerwillen mit anhören musste, brachte seinen Magen in Aufruhr. Hoch über seinem Kopf thronte der Inquisitor und schien allein mit der Macht seiner Stimme Sturm und Hagel, Donner und Blitz auf die Häupter der Versammelten herabrufen zu können. Dabei sprach er vom Kampf gegen die Söhne des Teufels, von Blut, das vergossen werden musste, und vom drohenden Strafgericht Gottes, das über all jene hereinbrechen würde, die sich der Reinigung des Landes und somit dem ewigen Willen des Herrn zu widersetzen wagten.
Als die Predigt endlich beendet war, hatte Juan das Gefühl , er hätte direkt in die Feuer der Hölle geblickt. Er zitterte und bebte vor Angst und hätte am liebsten auf der Stelle die Kirche verlassen. Doch entgegen der Absicht des Inquisitors zitterte er nicht etwa um seine unsterbliche Seele. Und er wollte auch nicht hinaus, um Juden, Morisken und andere »Feinde« zu fangen und sie der Inquisition zu übergeben . Nein, in diesem Augenblick hatte er ganz einfach Angst um sein Leben. Alle seine Befürchtungen, selbst die schlimmsten, dunkelsten, abscheulichsten hatten sich im Laufe der Predigt bewahrheitet.
Dass er und seine Familie wegen ihrer jüdischen Abstammung in das Visier der Inquisition geraten könnten, hatte er bereits gewusst. Aber dass der Inquisitor ein vom Hass durchdrungener Wahnsinniger war, das war ihm erst jetzt klar geworden . Ja, Pater Giacomo war wahnsinnig. Daran gab es keinen Zweifel. Und warum sperrte ihn dann keiner ins Irrenhaus ? Warum ließ man ihn weiter sein furchtbares Werk tun?
Du bist dumm, Juan, dachte er. Dumm und naiv. Selbst wenn sie es alle wüssten – der Bischof und die anderen Priester , Mönche und Nonnen von Córdoba, die Mitglieder der heiligen Inquisition, die Miliz, sogar der Kaiser selbst –, Pater Giacomo ist der Inquisitor der Stadt. Und der Mann, der es wagt, von einem Inquisitor zu behaupten, er sei verrückt, und der nicht auf dem Scheiterhaufen endet, der muss wohl erst noch geboren werden.
Unterdessen erteilte Pater Giacomo den Schlusssegen. Juan beobachtete jede seiner Bewegungen. Jetzt machte er den Eindruck eines tiefgläubigen Menschen, eines Priesters, der seine Aufgabe mit Leib und Seele erfüllte. Doch war da nicht auch in diesem Moment das Funkeln des Irrsinns in seinen Augen, deutlich sichtbar für jeden, der es sehen wollte ? Warum erkannten es dann die anderen nicht? War er der Einzige in ganz Córdoba, der wusste, mit wem sie es zu tun hatten?
Oder war es etwa seine Aufgabe, dem Volk die Augen zu öffnen? Wenn alle gemeinsam gegen Pater Giacomo anrückten , alle Einwohner der Stadt, er würde sich bestimmt nicht wehren können. Sie mussten nur alle zusammenhalten, um diesen Mann und somit auch das Joch der Inquisition loszuwerden .
Du bist verrückt, nicht er, dachte Juan voller Bitterkeit. Selbst wenn alle hier in der
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