Die Feuer von Córdoba
Zeit vergeht
Anne stand im Hof und striegelte eine von Cosimos Stuten. Das Tier war trächtig. Ihr feines dunkelbraunes Fell spannte sich über ihrem ausladenden Bauch, und wenn Anne vorsichtig mit der Bürste darüberstrich oder ihre Hand darauf legte, konnte sie die Bewegungen des Fohlens spüren. Innerhalb der nächsten Tage würde die Stute fohlen, vielleicht sogar schon heute. Dieser Gedanke beunruhigte sie. Sie war mit Anselmo allein auf der Hazienda. Sie selbst hatte keine Ahnung, was bei einer Geburt zu tun war, Anselmo hatte vor Pferden beinahe mehr Angst als vor dem Scharfrichter, und Cosimo, der Einzige, der wirklich etwas von der Pferdezucht verstand, hatte sich für unbestimmte Zeit in das geheime Labor in den Bergen zurückgezogen. Er kam zwar in unregelmäßigen Abständen nach Hause, allerdings nur, um sich mit frischem Proviant zu versorgen und nachzusehen, wie gut die Kräuter bereits gewachsen waren, die in mittlerweile zwei Dutzend Tontöpfen im und vor dem Haus standen. Meistens verließ er die Hazienda bereits wieder am darauf folgenden Morgen. Jetzt hatten sie schon seit drei Tagen nichts von ihm gehört.
Anne seufzte und massierte vorsichtig mit der weichen Bürste den Bauch der Stute.
»Eigentlich bin ich nicht hier, um Pferdezüchter zu spielen «, sagte sie zu der Stute, die ihr den Kopf zuwandte und sie mit ihren großen schönen Augen ansah, als könnte sie jedes Wort verstehen. »Und ehrlich gesagt habe ich auch nicht viel Ahnung davon. Hätte ich meinen Laptop hier, könnte ich mich wenigstens im Internet informieren. Bestimmt gibt es eine Internetseite mit Tipps, wie man eine Stute beim Fohlen unterstützen kann. Aber hier … » Sie zuckte mit den Schultern . »Ich habe in Cosimos Haus nicht einmal ein Buch über Pferdepflege gefunden. Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass ein Wunder geschieht und Cosimo rechtzeitig nach Hause kommt, bevor es bei dir losgeht.«
Die Stute wieherte leise und stupste Anne mit der Nase an, als wollte sie sagen: Mach dir keine Sorgen, es wird schon alles gut gehen.
Anne tätschelte liebevoll ihren glatten Hals, während ihre Gedanken zu Cosimo wanderten, der in dem geheimen Labor mit der Herstellung des Drachenöls beschäftigt war. Wenn er nach Hause kam, hingen sie und Anselmo förmlich an seinen Lippen, obwohl nur wenig Neuigkeiten von ihnen herabtropften . Meistens war er zu erschöpft, um viel zu erzählen. Die Arbeit in dem Labor, fernab vom Tageslicht, schien ermüdend zu sein. Doch Anne vermutete, dass seine Schweigsamkeit noch einen anderen Grund hatte. Vielleicht wollte er sie nicht unnötig beunruhigen. Nach dem Wenigen zu urteilen , das er ihnen zwischen einer hastigen Mahlzeit und seinem erneuten Aufbruch erzählte, schien die Arbeit nur sehr langsam voranzugehen. Und mindestens einmal hatte er sogar wieder ganz von vorne beginnen müssen.
Anne tauschte die Bürste gegen einen Kamm und widmete sich der schönen seidig schimmernden Mähne.
Sie hatten so große Hoffnungen gehabt, als Teresa ihnen das Labor gezeigt hatte. Es war ein Gefühl gewesen, als hätten sie die Phiole mit dem fertigen Drachenöl bereits in ihren Händen gehalten. Das war vor vier Wochen gewesen. Der Februar war verstrichen, der März war nun auch bald vorbei, und Ostern rückte immer näher. Die Kräuter wuchsen und gediehen in ihren Töpfen. Einige Pflanzen hatten sogar schon Blüten angesetzt und mussten nun bald geerntet werden, wenn es nicht wieder zu spät sein sollte. Die anfängliche Euphorie war steigender Unruhe und Resignation gewichen. Die Zeit verging, plätscherte so dahin, und während sie keinen Schritt vorankamen und stattdessen ständig neue Rückschläge erlebten, wurden auf Giacomos Befehl hin weiter Menschen in den Kerkern der Inquisition gefoltert. Vor etwa einer Woche war ein Mann zur Hazienda gekommen, weil er ein Pferd kaufen wollte. Er hatte von den Scheiterhaufen erzählt , die bereits auf dem Marktplatz von Córdoba errichtet wurden. Am Sonntag nach Ostern sollten die bis dahin Verurteilten in einer Massenhinrichtung verbrannt werden. Nur das Drachenöl war in der Lage, Giacomo und damit diesen schrecklichen Wahnsinn zu stoppen. Und dieses Öl wurde und wurde nicht fertig. Es war zum Verrücktwerden.
Anne fuhr der Stute energisch mit dem Kamm durch die Mähne. Sie beneidete Cosimo. Er konnte etwas Sinnvolles tun. Sie selbst hingegen saß auf der Hazienda fest und konnte sich mit nichts anderem als Pferdepflege
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