Die Feuer von Córdoba
beherrschte sich. Das wäre dann doch der Vertraulichkeit zu viel gewesen.
Die »Es lebe der Kaiser!«-und »Carlos! Carlos!«-Rufe wurden lauter, als die Menschenmenge ihn nun in voller Gestalt sah. Kurz ließ er seinen Blick über die Szene schweifen – die Soldaten, die mit verbissenen Gesichtern und ihren Lanzen versuchten die nach vorne drängenden Menschen zurückzuhalten, und die Männer und Frauen, die ihm zuwinkten, jubelten, schrien, weinten und auf und ab sprangen, als würden sie von Flöhen gezwickt.
Aus den Tiefen seiner Erinnerungen stieg das Bild seines alten Lehrers empor, ein strenger, aufrichtiger Mann, der großen Wert auf die Einhaltung der Vorschriften und Traditionen gelegt hatte. »Pflegt nie engen Kontakt mit dem einfachen Volk, Eure Hoheit«, hörte er ihn sagen. »Erstens ziemt es sich für einen Monarchen nicht, sich mit dem Pöbel abzugeben. Und zweitens ist der Mob in seiner Zuneigung ebenso maßlos wie in seinem Zorn. Kurz gesagt, sollte es ihnen gelingen, Euch in die Finger zu bekommen, würden sie Euch in Stücke reißen.« In den neunundzwanzig Jahren, seit er als Fünfzehnjähriger den Thron von Burgund bestiegen hatte, hatte Karl V. diese Weisheit nie in Zweifel gezogen und sich stets daran gehalten. Und hier in Córdoba würde er bestimmt nicht damit anfangen, sie auf die Probe zu stellen.
Er hob das Kinn, richtete den Blick geradeaus und schritt auf die Treppe zu, an deren Fuß bereits der Bischof auf ihn wartete. Der Mann war gewiss nicht viel älter als er selbst, hatte ein stark gerötetes, etwas einfältig wirkendes Gesicht, und, wie er bereits vermutet hatte, einen Bauch wie ein gutes Weinfass. Er trug einen besonders prächtigen, mit Gold- und Silberfäden reich bestickten Chormantel mitsamt Mütze und Bischofsstab und strahlte, als wäre er soeben zum Erzbischof ernannt worden. Neben ihm standen zwei Priester, die ebenfalls festliche Gewänder trugen.
»Es ist mir eine Ehre, Majestät, Euch in Córdoba begrüßen zu dürfen«, sagte der Bischof und verneigte sich – nicht besonders tief und ein wenig ungeschickt. Er war es nicht gewohnt, sich vor anderen Menschen verneigen zu müssen. Gewöhnlich knieten die Menschen vor ihm nieder und küssten seinen Ring. Und – zur Überraschung der versammelten Geistlichkeit – genau das tat auch Karl V. Er kniete zwar nicht vor dem Bischof nieder, aber er nahm seine Hand, verneigte sich und küsste den Ring. Nur den Ring natürlich, denn allein ihm und dem, der hinter diesem Siegelring stand, gebührte sein Respekt, seine Achtung und seine Liebe, nicht der Hand, die ihn trug – sei es nun durch Zufall oder wegen Korruption oder vielleicht sogar aus Berufung .
»Ich danke Euch für die freundlichen Worte, Hochwürden «, sagte Karl V. und lächelte. »Ich freue mich, dass ich nun endlich die Gelegenheit habe, Eure wunderbare Stadt kennen zu lernen, auch wenn der Anlass unglücklicherweise wenig Grund zur Freude gibt.«
Der Bischof nickte, machte dabei aber einen überaus verwirrten Eindruck. Er flüsterte dem Priester zu seiner Linken rasch etwas zu. Der Mann schüttelte fast unmerklich den Kopf.
»Nun ja, Ihr habt natürlich Recht«, sagte der Bischof mit einem unschuldigen Lächeln, das Karl V. jedoch ohne Schwierigkeiten durchschaute. Sebastian de Guevara wusste nicht, weshalb der Kaiser nach Córdoba gekommen war. »Dennoch wollen wir uns die Freude dieses denkwürdigen Augenblicks nicht verderben lassen, nicht wahr? Darf ich Euch in mein bescheidenes Heim führen, Sire?«
Der Bischof stieg mühsam und unter heftigem Schnaufen die Treppe hinauf. Offensichtlich plagten ihn seine Glieder, vielleicht hinderte ihn auch sein Gewicht daran, die Treppe schneller emporzuklimmen. Karl V. zügelte seine aufkeimende Ungeduld und dachte daran, dass er selbst sich während eines Anfalls auch nicht mit der Geschmeidigkeit eines jungen Mannes bewegen konnte. Außerdem gab ihm der Aufstieg Zeit zum Nachdenken. Offensichtlich hatte der Inquisitor von Córdoba den Bischof nicht von seinem Brief an den Kaiser in Kenntnis gesetzt. Aber warum? Hegten die beiden einen Groll gegeneinander? Oder lag das Problem woanders ? Gehörte einer der zu verurteilenden Ketzer etwa dem Stab des Bischofs an? Ganz gleich, was es ist, du wirst es bald herausfinden, dachte Karl V. missmutig. Er hatte die Reise hierher ohnehin nur mit Widerwillen angetreten. Jetzt auch noch in eine Fehde zwischen Bischof und Inquisition hineingezogen zu werden, war ihm
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