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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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auf halbem Wege über die vielleicht sechzig, siebzig Meter Lava. »Über diesem Strom ist die Kruste am dünnsten.«
    »Vielen Dank«, gab Eleanor zurück und blieb stehen, um zu husten. »Ich hatte versucht, nicht daran zu denken.« Sie machte einen weiteren Schritt. Zu ihrer Rechten ertönte das Zischen und Knacken und Knistern der Lava, die auf den kalten Ozean traf, wie ein auf volle Lautstärke aufgedrehtes Funkgerät, das nur Statik empfing.
    Einmal brach eine Terrasse unter ihr wie brüchiges Eis, und Eleanor mußte nicht nur blitzschnell ihren Fuß zurückziehen, sondern auch noch zu einer anderthalb Meter entfernten, höheren Vorwölbung aus grauem Stein springen, um der plötzlichen Hitzewelle und der hervorquellenden Lava zu entkommen. Sie blieb einen Moment zitternd stehen, bevor sie weitergehen konnte. Sie hatte Tante Kidder und ihre Abenteuer in den unberührten Regionen der Welt vor hundertdreißig Jahren immer geliebt, aber nun bekam sie einen leibhaftigen Eindruck von dem Mut der Frau, die die Kruste des Kilauea überquert hatte, als der Vulkan gerade ausbrach. Vielleicht ist es nicht nur die Ehelosigkeit, die von einer Generation zur nächsten an uns alle weitergegeben wird, die Tante Kidder folgen, ging es ihr durch den Sinn. Vielleicht ist es ein Gen für Wahnsinn. Sie machte einen weiteren Schritt.
    Die Feuer auf der Nordseite des Lavastroms erschwerten den Abstieg, aber schließlich fand sie eine Stelle, wo sie von einer Terrasse auf das knapp einen Meter tiefer gelegene, glimmende Gras hinunterspringen konnte. Eleanor wich vor der Hitze zurück und stand einen Moment lang auf festem Felsgestein, fühlte das Zittern in ihren Beinen, aber auch jenen seltsamen Schwebezustand, den Adrenalin manchmal hervorruft.
    Paul trat zu ihr. Sein Gesicht war rußverschmiert vom Rauch — genau, wie ihr eigenes Gesicht aussehen mußte, wurde Eleanor bewußt —, und er hatte die Stirn in Falten gelegt. »Mann«, sagte er, »und zurück müssen wir da noch mal rüber. Ich hoffe, die Lava begräbt Ihren Jeep nicht, während wir hier sind.«
    Eleanor atmete tief durch. Vermutlich hätte sie weiter vom Lavastrom entfernt parken sollen. Sie war eben noch keine Vulkanexpertin. Aber ich lerne dazu, dachte sie bei sich. Sie marschierten durch die Wildnis aus Rauch und a’a, folgten den Reifenfurchen, die auf dieser Seite des Lavastroms weitergingen.
    Die beiden kahuna standen vor ihrem uralten AirStream-Wohnwagen. Es waren beides Männer, beide Hawaiianer, beide in den Siebzigern — mindestens — und beide trugen Jeans, ausgeblichene Westernhemden mit Druckknöpfen und ausgetretene Cowboystiefel. Die Ähnlichkeiten in ihrem Aussehen, ihren Gesichtern und ihrer Haltung brachten Eleanor zu der Annahme, daß sie Zwillinge wären.
    »Aloha«, sagte der eine, der eine Zigarette rauchte — ein etwas unpassender Anblick inmitten all dieses wallenden Rauchs, der immer noch den Himmel, das Meer und alles jenseits eines Zwanzigmeterradius um den Wohnwagen verhüllte. »Wir haben euch erwartet«, erklärte er, während er seine Zigarette zu Boden warf und mit seinem Stiefel austrat. »Kommt rein, raus aus der schlechten Luft.«
    Der Wohnwagen war nicht groß und roch nach Schinkenspeck und Bratfett. Die vier quetschten sich in eine Frühstücksecke, Eleanor und Paul auf der einen Seite, die beiden kahuna auf der anderen. Eine alte Frau mit freundlichem Blick und weißen Haaren saß auf einem Sofa in den Schatten am anderen Ende des Wohnwagens. Eleanor nickte der Frau zu, aber die Männer — Paul eingeschlossen — ignorierten sie.
    Paul übernahm das allgemeine Vorstellen. »Eleanor, das hier sind meine Großonkel, Leonard und Leopold Kamakaiwi. Kapuna, das ist Dr. Eleanor Perry. Sie möchte sich mit euch unterhalten.«
    Leopold, der an der Außenkante der Sitzecke saß, faltete die Hände auf dem Resopaltisch zwischen ihnen und grinste sie an. Ein paar Zähne fehlten, aber der Rest war strahlend weiß. »Ein Doktor«, sagte er und nickte, scheinbar zufrieden. »Es ist gut, daß Sie gekommen sind. Ich habe Schmerzen in meiner Schulter, die Sie wegmachen können.«
    »Ich bin nicht so ein...«, setzte Eleanor an, doch sie hielt inne, als sie erkannte, daß der Mann sie auf den Arm nahm. Sie erwiderte sein Lächeln. »Dann müssen Sie Ihr Hemd ausziehen.«
    Der alte Mann hob abwehrend die Hände, so als wäre er von dem Vorschlag schockiert. »Nein, nein! Mahalo nui, aber ich ziehe nie mein Hemd vor einer schönen wahine aus,

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