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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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neuen Rolle als Übersetzer wirkte Halemanu älter.
    »Frag Großvater, wie der Pastor und die Leute im Dorf getötet wurden«, meldete sich Reverend Haymark zu Wort.
    Halemanu sprach leise, die Augen geschlossen. Offenbar bereitete seine Wunde ihm Schmerzen. Ein anderer alter Mann im Kreis bellte eine Antwort.
    »Mein anderer Großvater sagt, er und die anderen kahuna an der Küste haben sie tot gebetet«, übersetzte Halemanu ohne Regung.
    »Zu Tode gebetet?« wiederholte unser Geistlicher mit offenkundigem Abscheu.
    »Ja«, erwiderte Halemanu. »Aber die haole sind nicht gestorben davon, nur krank geworden. Deshalb haben die Großväter, die mächtigsten kahuna, gesungen die alten Gesänge und geöffnet das Tor zur Unterwelt, damit die eepas und die kapuas und die mokos und Pana-ewa selbst kommen konnten, um uns von den haole heiligen Männern zu befreien.«
    »Zu befreien?« wiederholte Mr. Clemens. Ich spürte, wie mein eigenes Herz schneller schlug ob der Worte des Kindes.
    »Ja«, sagte Halemanu und schlug die Augen auf. »Die Großväter haben meinem Onkel und den anderen Kriegern befohlen, euch hierherzubringen, um euch zu opfern. Als jüngster der kahuna war es mir erlaubt mitzugehen. Es war einfach Pech, daß wir auf unserer kurzen Reise den Ka huakia’a o ka Po begegneten. Sie haben mich verschont, weil ich den Namen der berühmtesten aumakua trage, die Pana-ewa dienen.«
    Mr. Clemens und Reverend Haymark wollten aufspringen, als sie diese Worte vernahmen, aber der alte Mann neben der Tür gab ein Zeichen, und die beiden kräftigen Männer fielen, wie von schweren Gewichten niedergestreckt, auf den Rücken. So sehr sie auch strampelten, sie konnten sich nicht erheben. Ich versuchte es nicht einmal.
    »Halemanu«, begann ich.
    »Schweig still, Weib«, befahl mir das Kind mit gebieterischer Stimme, die viel tiefer klang, als dies bei einem Jungen möglich ist.
    Die alten Männer begannen zu singen. Die Töne schienen wie eine Droge in meinen Körper einzudringen, das Innere der Hütte begann, sich im Licht der Bankulöl-Funzel zu drehen, und meine Lider waren mit einem Mal bleischwer. Ich konnte sehen, wie Mr. Clemens und Reverend Haymark gegen den Gesang ankämpften und dabei auch nicht mehr Glück hatten als ich.
    In jenem Moment drehte ich mich um und sah Halemanu an. Der Körper des Knaben schien zu flirren wie eine entfernte Fata Morgana in der mittäglichen Wüste, und dann schien sein Fleisch sich plötzlich zu verflüssigen und zu verschieben, wurde weicher und floß ab wie dunkles Wasser durch eine unsichtbare Regenrinne.
    Zurück blieb nur Nebel. Nebel, der sich bewegte und floß. Nebel, der aufstieg und die Form und Gestalt eines Mannes annahm, wenngleich eines Mannes von übernatürlicher Größe, denn der Kopf der Gestalt stieß gute drei Meter über uns gegen die Decke der Hütte. Ich sah, wie der Nebel im Bankulölschein wirbelte, und als die Stimme ertönte, drang sie aus dem Nebel wie das Echo eines mächtiges Tieres, das in einem langen Tunnel brüllt.
    »Und nun nehme ich mir, was mein ist! Kapu o moe, haole kanaka!«
    Der Nebel in Gestalt eines Mannes stürzte sich zwischen uns drei.
     
    Eleanor wendete den Jeep auf dem Highway 11 und fuhr etwa eine Meile zurück zu der Abzweigung nach Milolii und Hoopuloa. Eine Absperrung, bestehend aus einem Holzbock, stand quer über der schmalen Zufahrtsstraße.
    »Fahren Sie nicht darum herum«, sagte Paul Kukali. »Die a’a zerfetzt Ihnen die Reifen.« Er stieg aus und schob die Absperrung zur Seite. Eleanor fuhr durch, und der Kurator stellte den schweren Holzbock zurück.
    Die Straße war sehr schmal, sehr gewunden und umgeben von den gleichen öden Lavafeldern, die das Mauna Pele vom Highway trennten. Eleanor fuhr langsam, immer in der Erwartung, hinter der nächsten Kurve würden plötzlich Polizisten auftauchen und sie zurückschicken. Andere Fahrzeuge sahen sie keine.
    Milolii wirkte wie ein hawaiisches Fischerdorf, in dem die Zeit stehengeblieben war. Die wenigen Häuser sahen verlassen aus, und an der Tür des einzigen öffentlichen Gebäudes, einem Krämerladen, hing eine Evakuierungsverfügung der Polizei. Das Schild wies auf die Strafen für Plünderung hin. Der Wind hatte sich gedreht, und Rauch waberte zwischen den Kokospalmen und über den kleinen Häusern mit ihren verzinkten Dächern. Auf dem schattigen Strand lagen Auslegerkanus. Sonnenstrahlen bohrten sich durch den dahinziehenden Rauch und verliehen dem Ganzen eine Schönheit,

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