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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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es falsch wäre. Die mokos hätten lieber begraben bleiben sollen. Wir hätten die Götter nicht rufen sollen.« Er trank einen großen Schluck.
    Leonard ist der kahuna lapa’au, erkannte sie schockiert. Der bellende Zauberer. Es ist der lustige Leopold, der über die dunklen Mächte gebietet.
    Leopold grinste sie an, als würde er ihre Gedanken lesen.
    »Können Sie es nicht aufhalten?« fragte sie.
    »Nein«, sagten beide Männer im Chor. Leonard fuhr fort. »Alle kahuna haben es monatelang versucht. Niemand wollte, daß Menschen sterben. Aber die alten Gesänge haben die Unterweltwesen befreit. Unser Wissen reicht nicht aus, um die Öffnung wieder zu schließen, um sie zurück in die Finsternis zu schicken.«
    »Pele...«, begann Eleanor.
    Leopold machte eine ausholende Geste mit seiner Hand. »Pele ist wütend auf uns...« Er deutete abermals mit seiner Hand, diesmal auf den Rauch vor dem Fenster. »Aber sie hört nicht zu.«
    »Sie hat seit Generationen nicht mehr auf uns gehört«, erklärte Leonard finster. »Wir haben die alten Traditionen verloren. Wir haben unseren Stolz verloren. Wir verdienen es nicht, daß sie uns erhört.«
    Eleanor beugte sich vor. »Gibt es denn nicht Pele kahuna? Einen geheimen Orden von Priesterinnen, die zwischen uns und Pele vermitteln?«
    Leopold musterte sie. »Woher wissen Sie all diese Dinge, haole?«
    »Sie liest«, erklärte Paul Kukali mit einer Andeutung von Ironie in der Stimme.
    Eleanor blickte zum Kurator und dann wieder zu den Zwillingen. »Irre ich mich da?«
    »Sie irren sich«, erwiderte Leonard tonlos. »Vor hundert Jahren hat es Pele kahuna gegeben. Vor fünfzig Jahren gab es Pele kahuna. Aber jetzt sind sie alle fort. Die Frauen sind alle gestorben, ohne ihre Geheimnisse weiterzugeben. Es ist keine übrig.«
    »Keine?« wiederholte Eleanor, und ihr wurde ein wenig übel. Ihr ganzer schlauer Plan hatte sich gerade in Luft aufgelöst. Sie sah zu der alten Frau auf dem Sofa, als würde sie sie um Hilfe anflehen, aber der Blick der Frau blieb so leer und ausdruckslos, daß Eleanor überlegte, ob sie blind sei.
    »Keine außer Molly Kewalu«, sagte Paul.
    Leopold schnaubte. »Molly Kewalu ist pupule«, sagte er. »Verrückt. Übergeschnappt.«
    »Und sie spricht mit niemandem«, fügte Leonard hinzu.
    Leopold machte abermals eine ausholende Geste. »Sie wohnt hoch auf dem Vulkan, wo es keine Straßen gibt. Es würde Tage dauern, sie zu Fuß zu erreichen. Wahrscheinlich ist sie schon längst Opfer der Lava geworden.«
    »Wie kann sie dort oben leben?« fragte Eleanor. »Dort wächst nichts. Was ißt sie?«
    »Die Frauen erhalten sie am Leben«, erklärte Leopold und schnaubte wieder. »Die Frauen in den Dörfern glauben immer noch, sie hätte mana, und sie bringen ihr seit fünfzig, sechzig Jahren Essen manauahi — umsonst. Aber sie ist nur eine verrückte alte Frau. Pupule.«
    Eleanor sah zu Paul, aber der Kurator schüttelte den Kopf. »Molly Kewalu behauptet, sie könne mit Pele sprechen«, sagte er, »aber das behauptet die Hälfte der alten Hawaiianerinnen in der Alzheimer-Abteilung des Krankenhauses in Hilo.«
    »Trotzdem...«, setzte Eleanor an.
    Paul machte dieselbe geringschätzige Geste, die sein Onkel benutzt hatte. »Eleanor, kennen Sie die Legende, daß man keine Steine vom Vulkan mitnehmen soll, um Madame Pele nicht zu erzürnen?«
    »Natürlich«, erwiderte Eleanor. »Diese Geschichte kennt doch jeder Tourist. Die Göttin mag es nicht, wenn man ihre Lava stiehlt. Es bringt Unglück, einen Stein mitzunehmen, stimmt’s?«
    »Stimmt genau«, sagte Paul. »Jedes Jahr erhalten die Ranger vom Volcano Park Hunderte von Steinen mit der Post. Die meisten stammen vom Festland, aber es kommen welche aus der ganzen Welt... heutzutage vor allem aus Japan. Touristen haben sie mitgehen lassen, und jetzt schicken sie sie zurück, zusammen mit Briefen, in denen sie erzählen, welche Mißgeschicke ihnen seit dem Diebstahl zugestoßen sind. Viermal pro Jahr müssen die Ranger die Steine zurück zum Vulkan bringen und sie mit einer Opfergabe... gewöhnlich einer Flasche Gin... zurücklassen, um Pele zu besänftigen. Eleanor, sie erhalten Tausende dieser schuldbewußt zurückgegebenen Steine. Viermal pro Jahr fährt eine ganze Prozession von Lastern voller Lavabrocken dort hinauf.«
    »Und?« fragte Eleanor.
    »Und es gibt keine solche Legende, kein solches Tabu«, erklärte Paul.
    »Kein kapu«, bestätigte Leopold.
    »Ich habe die sogenannte Legende in einem meiner

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