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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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machen«, sagte Reverend Haymark schließlich, seine Stimme heiser, als ob er geschrien hätte, obgleich wir tatsächlich fast die ganze Zeit, die wir an diesen Höllengestaden gestanden hatten, in tiefes Schweigen versunken gewesen waren.
    Mr. Clemens und ich sahen einander an, als wollten wir dagegen protestieren, als wollten wir gegen diese Entscheidung meutern und uns nicht von der Stelle rühren, die ganze Nacht hindurch, den ganzen Tag hindurch, bis hinein in die Pracht einer weiteren Nacht in Peles Reich.
    Wir meuterten natürlich nicht, obgleich ich glaube, daß wir in jenem Moment gegenseitig den Wahnsinn in unseren Augen erkannten. Statt dessen nickten wir zustimmend und wichen zurück, beobachteten das Flammenmeer, so lange wir es sehen konnten, bis sich der gesunde Menschenverstand regte und uns anhielt, auf unsere Füße zu achten und der wippenden Laterne unseres geistlichen Führers zu folgen.
    Ich muß gestehen, daß ich meine Laterne beim ersten Blick auf dieses Feuermeer abgestellt hatte, und ich hob sie auch nicht wieder auf — oder verschwendete auch nur einen Gedanken an sie —, als ich jenen urgewaltigen Ozean verließ. Das rötliche Licht war mir so hell erschienen, meine Sinne waren so erfüllt von der beängstigenden Erhabenheit um uns herum, daß ich die Laterne ganz vergaß. Ich dachte an nichts anderes als die Bilder und Gerüche, die mich überwältigt hatten, wie nichts zuvor in meinen einunddreißig Jahren es auch nur annähernd vermocht hatte. Wieder in meiner angestammten Mittelposition zwischen den beiden Männern, fiel mir wohl auf, daß Mr. Clemens seine Laterne dabei hatte und daß die des Reverends ein Stück weiter vorn mit der nun schon vertrauten Regelmäßigkeit hin und her schwenkte, doch ich setzte nur einen meiner qualmenden Stiefel vor den anderen und stapfte über die dunkle Lava, zu erschöpft und überwältigt, um nachzudenken.
    Und so fuhr mir der Schreck in die Glieder, als Reverend Haymark brüllte: »Halt!«
    Sowohl Mr. Clemens als auch ich blieben wie angewurzelt stehen, vielleicht drei Meter voneinander entfernt. »Was ist?« fragte der Korrespondent, und auch er klang erschrocken.
    »Wir sind vom Weg abgekommen«, gab der Pastor zurück. Ich hörte das Beben in seiner Stimme, und meine Knie begannen augenblicklich ebenfalls zu zittern.
    Haymark und Clemens schwenkten eilig ihre Laternen, ohne sich von der Stelle zu bewegen, aber allüberall um uns herum herrschte Finsternis, die nur von dem schwachen Lavaschein gebrochen wurde, der aus schmalen Felsspalten drang.
    »Hier ist der Boden höher«, sagte Reverend Haymark. »Wir sind direkt über dem Magmakern. Die Lava ist brüchig, nur eine dünne Kruste. Ich habe den unterschiedlichen Klang beim Gehen bemerkt. Ich muß gestehen, daß ich zuvor nicht achtgegeben habe.«
    Mr. Clemens und ich schwiegen. Schließlich sagte der Korrespondent leise: »Wenn wir unsere Schritte zurückverfolgen...«
    Reverend Haymarks Laterne schwenkte in verzweifelten Bogen umher, beleuchtete dabei immer wieder sein entsetztes Gesicht. »Das wäre sehr schwierig, Sir. Wir haben große Schritte gemacht, sind von Felsbuckel zu Felsbuckel gesprungen. Ein falscher Schritt hier würde uns die dünne Kruste durchbrechen und dreihundert Meter tiefer in die Lava stürzen lassen.«
    »Ich denke, zweihundertfünfzig Meter würden mir reichen«, wiederholte Mr. Clemens den lahmen Witz, den er etliche Stunden zuvor schon einmal gemacht hatte.
    Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, so entsetzlich war die Vorstellung, sich auf dieser tückischen Kruste verirrt zu haben. »Wir könnten bis Sonnenaufgang warten«, schlug ich vor, aber der Sonnenaufgang war noch Stunden entfernt, und noch während ich es aussprach, wußte ich, daß wir hier nicht die lange Nacht hindurch stehenbleiben konnten.
    »Vielleicht könnten wir uns vorsichtig zurücktasten, bis wir wieder auf den Pfad stoßen«, sagte Reverend Haymark und tat einen einzigen Schritt, bevor er durch die Kruste einbrach.
    Mein Schrei muß erbärmlich geklungen haben im Vergleich zu dem Tosen der Lava und dem Zischen des Dampfes, der überall um uns herum in die Nacht entwich.
     
     

Kapitel 11
    So lange der Lavaschein
gleißend vom Lavasee erstrahlt
und selbst der Sterne Schein blendet;
So lange bei Tag der silbrige Dampf
über den Bergen schwebt
wird Kapiolanis Erhabenheit
untrennbar mit beidem verbunden sein
auf Hawaii.
     
    Alfred Lord Tennyson
»Kapiolani«,

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