Die Feuer von Eden
dem Kriegspfad waren, wenn sie tatsächlich die Missionarsfamilien niedergemetzelt hatten, dann wäre es kaum klug, wenige Minuten vor Einbruch der Nacht auf ihrer Türschwelle zu erscheinen.
Reverend Haymark nickte. »Es gibt da einen Ort nur ein, zwei Meilen nördlich von hier, glaube ich. Eine heidnische Ritualstätte. Ich denke, dort könnten wir Schutz finden.«
Und so erreichten wir an jenem Abend den großen heiau , wo sich die schrecklichen Geschehnisse jener Nacht zutragen sollten.
Schon unser Eintritt in den heiau verhieß nichts Gutes; wir mußten einem Pfad zwischen zwei hohen Steinwänden folgen, eben jenen Gang entlang — wie Reverend Haymark bekümmert anmerkte —, über den die heidnischen Priester ihre rituellen Opfer geschleift hatten, um sie auf den Stufen jenes gigantischen Steinkolosses, der uns erwartete, abzuschlachten.
»Kamehameha der Große hat das hier erbaut, bevor er auszog, um Oahu zu erobern«, erklärte der Geistliche, als unsere Pferde am Fuß des grausigen Tempels anhielten.
»Ich habe letzte Nacht von Kamehameha geträumt«, sagte Mr. Clemens in einem Tonfall, der nichts Scherzhaftes an sich hatte. »Ich träumte, eine hagere, verhüllte Gestalt würde an unserer Lagerstatt erscheinen und mich zurück zum Krater des Kilauea führen. Dort, in einem unterirdischen Gewölbe, deutete mein gespenstischer Führer auf einen gewaltigen Felsbrocken und rief: ›Sehet das Grab des letzten Kamehameha!‹ Ich erinnere mich, daß ich meine Schulter gegen den Stein stemmte, und der gewaltige Felsbrocken bewegte sich, und plötzlich lagen da die mumifizierten Überreste des Königs.«
»Ein beunruhigender Traum«, sagte Reverend Haymark. Er wischte sich das gerötete Gesicht mit einem Taschentuch ab und blickte zu mir herüber.
»Es kommt noch beunruhigender«, kündigte der Korrespondent an, und seine Stimme klang auf eine Weise ernst, wie ich es noch nie bei ihm gehört hatte. »Der tote König legte seine Knochenhand auf meine Schulter und versuchte zu sprechen, seine Stimme suchte sich einen Weg zwischen den verwitterten, zugenähten Lippen zu bahnen. Der Laut klang eher wie ein entsetzliches menschliches Stöhnen, aber ich war überzeugt, daß er versuchte, mich vor etwas zu warnen.«
»Es scheint mir doch eine unangebrachte Zeit für Gespenstergeschichten«, bemerkte ich und blickte zu den übereinander aufgetürmten Opfersteinen, die sich über uns erhoben.
Mr. Clemens schien sich aus seiner Versenkung zu reißen. »Ja«, pflichtete er geistesabwesend bei. »Es tut mir leid.«
Überrascht von seiner Entschuldigung — die erste im Verlauf der gesamten Reise —, lenkte ich mich ab, indem ich die Größe dieses heiau abschätzte. Er war in der Form eines nicht geometrisch genauen Parallelogramms von über sechzig Meter Länge angelegt, und die Wände, errichtet aus Lavabrocken, die ohne Mörtel zusammengefügt worden waren, waren etwa vier Meter breit am Fuß und wohl sechs, sieben Meter hoch, wobei sie sich nach oben zu einer Breite von zwei Metern verjüngten. Dies war an der mauka oder landwärtigen Seite; auf der seewärtigen Seite waren die Wände an einigen Stellen eingestürzt und nur zweieinhalb oder drei Meter hoch sowie oben abgeflacht, um den Häuptlingen und Priestern die Ausübung ihrer rituellen Handlungen zu erleichtern. Am Südende gab es einen Innenhof, und Reverend Haymark erklärte, dies sei die Stelle, wo das Götzenbild gestanden habe — Tairi, furchtbar anzuschauen, auf dem Kopf ein Helm und geschmückt mit roten Federn, Kamehamehas erwählter Kriegsgott. Hier war es, wo die Menschen zu Hunderten — vielleicht Tausenden — geopfert wurden, auf daß die Vorhaben des Königs unter einem guten Stern standen.
Der Regen war nun stärker geworden, und ich muß gestehen, daß meine Stimmung ebenso schwer und niederdrückend war wie meine Kleider und mein Leib. Dieser Ort war schlimmer als tot — er saugte einem das Leben aus, wenn diese Worte einen Sinn ergeben.
Doch vielleicht fünfzig Meter nördlich des düsteren heiau standen drei lange verlassene Grashütten, und hier, in der am wenigsten verfallenen Hütte, entschieden wir uns, unsere Pferde anzubinden und die Nacht zu verbringen. Geschützt vor dem Regen, gelang es Mr. Clemens, aus den trockeneren Bruchstücken der verfallenen Hütte ein kleines Feuer auf dem nackten Erdboden zu entfachen, und wir konnten uns Kaffee kochen, den wir zu unserem Pökelfleisch und den Mangos tranken. Ich hätte Tee
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