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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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die den nötigen Mut und das seemännische Können besaßen, um ein Schiff bei Schirokko-Sturm und so rauer See durch die Laguneneinfahrt von Malamocco zu lenken. Und da der Abstand zum Meeresgrund seit einer Stunde weniger als dreißig Faden betrug, lenkte die Adria die Wut, die sie nicht mehr in der Tiefe entladen konnte, nach oben. Die Wellen waren zu steinernen Wänden geworden, und jede einzelne schien sich, wenn sie rund wurde und brach, über dem Admiralsschiff der Flotte Loredan schließen und es für immer begraben zu wollen. So schrecklich war dieses Schauspiel, so ohrenbetäubend der Lärm dieses rollenden Infernos, dieses Meeres ohne Form und Maß, dass viele an Bord begonnen hatten zu beten, indem sie sämtlichen Heiligen des Kalenders Gelübde und Versprechen gaben, und sie hätten, wenn nötig, auch noch den Propheten Mohammed um Hilfe gebeten, nur um ihr Leben zu retten.
    Nicht so Alvise. Er stand ungerührt und sicher an der Ruderpinne, die er unter Einsatz seines ganzen robusten Körpers mal nach rechts, mal nach links stemmte, damit die Handelsgaleeremit dem Bug immer nach vorn schaute, sich also auf keinen Fall quer zum Meer legte und von den Wellen erfasst wurde.
    Alle halbe Stunde tauchte der Navigationsoffizier Admiral Pietro Sentini, sein getreuer Reisegefährte, an der Luke zum Kartenraum neben dem Ruderhaus auf, die Sanduhr in der einen, den Kompass in der anderen Hand, im Gesicht einen Ausdruck zwischen Verblüffung und Angst, und schrie ihm die neuen Daten für die Anfahrt auf die Mündung von Malamocco zu.
    Die Santa Chiara Capitana schlug auf dieser Fahrt alle je von Schiffen benötigten Zeiten für die siebzig Seemeilen zwischen Pola und Venedig. Der Admiral hatte an der Schnur, die zwischen seinen Fingern lief, mehrmals bis zu zwölf Knoten gezählt, als sie über die Wellen flogen und das Schiff bebte, scheinbar unentschlossen, ob es auseinanderbrechen oder sich in den Himmel erheben sollte. In diesen Momenten hatte Alvise in höchster Erregung geschrien, und die Kameraden und Ruderer in seiner Nähe, die ihn gehört hatten, hatten noch inbrünstiger gebetet. Dennoch war diese Fahrt keineswegs pure Verrücktheit, sondern gründete auf festen Regeln und präzisen Befehlen, außerdem natürlich auf den Gesetzen des Marktes.
    Als der Sturm aufkam, hatte der Kapitän alle Luken im Kielraum verschließen lassen, denn im Fall einer Sturzwelle über Bord hätte das Wasser den Kielraum des Schiffs überschwemmt. Der zweite Befehl ging an den Schiffszimmerer, der die Reling in der Mitte des Schiffes, wo sie am niedrigsten war, mit Lärchenholzbrettern erhöht hatte. Der dritte Befehl an die Ruderer lautete für die ersten zwölf Bänke am Bug, die Riemen aus den Dollen zu nehmen und sie so weit wie möglich in den Seitenraum einzuziehen, so dass nur die Blätter herausragten. Dann mussten die Ruderer sich nach hinten setzen, um den Bug leichter zu machen und das Krängen des Schiffs zu vermeiden, die anderen in den achtzehn Bänken am Heck mussten die Ruder hochhalten wie Libellenflügel und sich bereithalten, dasBoot bei gefährlichem, allein mit dem Steuer nicht kontrollierbarem Schlingern auszubalancieren. Den vierten Befehl hatten die Matrosen an den Segeln erhalten: Die großen Lateinersegel an Fock- und Hauptmast wurden eingezogen und nur das kleine Focksegel gehisst und mit zwei Wanten von der Mastspitze bis zum Heck gesichert, damit es in dieser Hölle an seinem Platz blieb. Nur von diesem Vormastsegel angetrieben, glich die Galeere einem störrischen Pferd, das am Zügel gezogen und gezwungen wird, den Kopf nach vorne zu richten, obwohl es nach rechts und links ausschlägt. Den letzten Befehl hatte der Kapitän sich selbst gegeben: Ungeachtet seiner Müdigkeit und der Kälte musste er das Steuerruder der Santa Chiara festhalten und sie so schnell wie möglich nach Venedig zurückzubringen.
    Denn im bis zum Rand beladenen Kielraum lagen siebzigtausend Pfund wertvolle, erlesene Waren: Nelkenpfeffer, Ingwer und Muskatnuss, indischer Pfeffer, Zimtstangen, Safran und Rhabarber, und unter diesem Meer aus Gewürzen in Kisten, Säcken und Truhen lagen direkt am Kiel, um das Schiff zu stabilisieren, weitere zwanzigtausend Pfund Barren sodahaltiges Rohglas aus Alexandria in Ägypten, sehnlich erwartet von den Glasbrennern in Murano, die nach der langen Sommerpause das Feuer in ihren Öfen wieder entfacht hatten und nun mit dem Schmelzen beginnen wollten.
    Alvise verließ sich auf diesen Sturm

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