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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Entrinnen gab. Bepo Rosso hatte das Läuten zum Ende des Arbeitstages abgewartet und war vom Neuen Hafenbecken des Arsenale zum Neuesten Becken hinübergegangen. Er hatte eine der östlichen Anlegestellen ausgesucht, denn im Westen waren die Mauern seit der Explosion abgestützt. Bei diesem Unwetter war außer den Wachen auf den Türmchen niemand mehr auf der Werft. Der Werkmeister versteckte sich trotzdem hinter einem Stapel Holz und der Mauer, um mit seinem Gebet allein zu bleiben.
    Die Abwesenheit seines Sohnes schmerzte ihn jedes Mal, wenn er den Bootsrumpf anreißen musste, denn Giorgio sollte eines Tages seinen Platz im Arsenale einnehmen und die erhabene Kunst des Schiffsbaus fortführen.
    Er kniete auf dem feuchten Boden nieder und bat Gott um Vergebung. Er bot Gott sein Leben an, bat ihn aber, seinen Sohn zu beschützen und zu erleuchten, und das Leiden von Annina, seiner Frau, zu mildern. Das Gebet wurde zum Gespräch über ernste, schwerwiegende Dinge, über Entscheidungen, die er getroffen hatte und treffen musste, Entscheidungen, bei denen seine Hoffnungen die Reue nicht auszugleichen vermochten. Eines aber wusste Bepo gewiss, und er hatte es der Jungfrau Maria geschworen: An dem Tag, an dem die Türken Giorgio befreiten, würde er, sobald sein Blick dem des Sohnes begegnet war und seine Finger dieses Gesicht, ob tot oder lebendig, gestreichelt hatten, sich freiwillig den Zehn ausliefern und das entsetzliche Verbrechen gestehen, das er begangen hatte. Die Gewissheit, dereinst für seine Schuld zu büßen, gewährte ihm jenen inneren Frieden, den er brauchte, um sein Gebet zu beenden. So bat er den Herrn, seine Arbeit zu erleuchten und ihm die Hand zu führen, damit er ein sicheres, starkes Schiff baute, das Zufluchtsort und Vorhut zugleich für den Sieg über die Feinde und Schutz vor Stürmen und unbekannten Gewässern war.
    Er nahm einen Pflock, zog den Holzhammer aus der Ledertasche und schlug den Pflock in die feste, feuchte Erde zu seinen Füßen ein. Dann band er ein Ende der Schnur um den Pflock und zog sich die Schuhe aus, um das Maß nicht zu verfälschen. Er drückte die Ferse seines linken Fußes fest an den Pflock, richtete den Blick nach vorn und zog im Geist eine perfekte gerade Linie. Der erste halbe und ein weiterer halber Schritt bildeten das richtige Maß, und als er einen dritten und vierten tat, fühlte er den Achtersteven unter seinen Füßen entstehen. Er ließ die Schnur abrollen und ging weiter, sorgsam darauf bedacht, eine perfekte Gerade zu zeichnen. Er spürte die Härte des Eichenholzes, die Schärfe des Balkenkiels und sah, dass aus der Sponungwie eilige Frühlingsknospen rechts und links schon die Spanten der Galeere hervorsprossen, die Rippen, die die Bootshaut aus Lärchenholz stützen würden. Und wie Zweige, die die Rippen verbanden, sah er über seinem Kopf eine neben der anderen die Bootsplanken verlaufen, die das Deck tragen würden.
    Noch wenige Schritte, dann war er bei der großen Spant in der Mitte des Schiffs. Er blieb stehen. Der Wind heulte zwischen den Masten und der Takelage. Zu seiner Rechten hörte er in der Ferne das Dröhnen des vom Schirokko aufgewühlten Meeres, dessen Spiegel an den Stränden des Lido anstieg. Er stellte sich eine große Welle vor, die die Galeere seitlich erfasste und das Schiff, das er gerade baute, ins Schlingern brachte. Wenn er die Augen schloss, sah er die Matrosen, die die Segel im Zaum hielten, weinten oder beteten. Er dachte an den Druck des Windes auf den Hauptmast, an den Fallwinkel der Takelage, an den Gierschlag, der die Galeere treffen würde, und beschloss, die Bootsmitte um eine Spanne nach vorn zu verlegen.
    Er machte einen Knoten in die Schnur und setzte sein Abschreiten und Bauen fort. Schon streifte die Wölbung des Decks seine Haare: hier würde die Galeere ihre maximale Breite von fünfzehn Fuß erreichen. Da war der Hauptmast mit seiner Mastspur, die ihn stützte, weil sie fest im Kielschwein verankert war. Und schon erkannte Bepo Rosso den Vordersteven und den Fockmast, der wichtig ist für das Wenden und um den Kurs wiederzufinden, wenn das Boot besonders heftig ins Schlingern gerät. Rosso dachte an den Rammsporn und die Enterbrücke, auf der die Fanti da Mar ihrem Feind und ihrem Schicksal entgegengingen. Als er an der Achse dieses imaginären und dennoch wirklichen Bugs angekommen war, kniete er nieder, küsste den Boden, wie es das Ritual verlangte, und hieb den zweiten Pflock in die Erde, an dem er das

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