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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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aus Südost, um als Erster anzukommen und die Preise diktieren zu können. Schon als sie am Vortag bei Pola an der Reede lagen, umgeben von gut dreißig Handelsgaleeren mit Ziel Venedig, die alle miteinander konkurrierten, hatte er den pastösen gelben Schleier des Sonnenuntergangs beobachtet und die Nacht an Deck verbracht, um den Flug und die Formen der Wolken zu verfolgen, die vor einem großen, roten Mond vorüberzogen. Sein Licht entzündete das Wasser mit den vielen dunklen schlanken oder gedrungenen Silhouetten der Galeeren und Karacken. Dann, drei Stunden vor Sonnenaufgang, war der Landwind abgeflaut, und Alvise hatteKalk, istrisches Karstgestein gerochen, das die Feuchtigkeit in der Luft zum Duften brachte. Auch hatte sich ein leichter Nebel erhoben, und die Temperatur war gestiegen. Alles Zeichen, dass ein Schirokko aufkam, stärker denn je.
    Dann war ein geflüstertes Versprechen durch die Reihen der erwachenden Männer gelaufen: fünf Soldi für jeden und doppelte Ration an Fleisch und Wein, wenn sie die Santa Chiara so leise aus dem Hafen manövrierten, dass die anderen Mannschaften nichts bemerkten. Die Ehre, das Ankertau zu lösen, hatte er seinem Sohn Lunardo überlassen, und sofort war die Galeere langsam mit der Strömung abgedriftet. Dann hatte Alvise den Bug der Santa Chiara nach Westen gedreht und einen aberwitzigen Rudertakt befohlen, fünfundzwanzig Schläge in einer Minute. Bei Tagesanbruch hatten sie schon fünfzehn Meilen zurückgelegt, und ein Ostwind hatte sich erhoben, der drehend dem Lauf der Sonne folgte und zunehmend auffrischte.
    Eine halbe Stunde später war der Wind schlagartig abgeflaut, die Segel waren in sich zusammengefallen, und die Galeere hatte zu ächzen aufgehört. Das Meer hatte seine Farbe gewechselt und war weiß geworden.
    »An die Schoten und an die Riemen, ein Viertel steuerbord!«, hatte Alvise geschrien, dann hatte er sich wieder dem Heck zugewandt: Das Weiß des Meeres erschien jetzt wie eine von Dunst umgebene Schneefläche. Instinktiv hatte Alvise sich an einem dicken Tau festgehalten. »Pass auf, Lunardo, du musst jede Bewegung von Chiara vorwegnehmen«, hatte er zu seinem Sohn gesagt. Und der junge Mann hatte die Ruderpinne mit beiden Händen gepackt, ihm zugelächelt und genickt.
    Der Schirokko kam mit einem Brüllen, spannte die Takelage, bog die Masten, machte gehärtetes Eisen aus den Schoten und Wanten. Die Santa Chiara begann ihren Galopp – das, was Alvise erwartet und sich die ganze Reise über gewünscht hatte, denn in Ragusa war während der Verproviantierung mit Wasser und Nahrung ein Jude auf die Galeere gekommen, David Passi, einKaufmann. Bei sich trug er ein Beglaubigungsschreiben, unterzeichnet von Luigi Buonriccio, dem ersten Sekretär des venezianischen Botschafters in Konstantinopel Marc’Antonio Barbaro, nebst einer verschlüsselten Botschaft, die der Regierung Venedigs so schnell wie möglich zu überbringen war.
    Bei ihrem offenen und vertraulichen Gespräch hatte Passi, der gerne mit seinen hochrangigen Bekanntschaften prahlte, Alvise erzählt, dass die Nachricht von der Explosion des Arsenale nach Konstantinopel gelangt war und bei Sultan Selim II. und seinen zwei Ratgebern, den Wesiren Lala Mustafa und Mustafa Piali, die zum Krieg drängten, Jubel ausgelöst hatte. Nach dem, was er selbst in Erfahrung bringen konnte, stammte die Idee zu dem Anschlag sogar von einem marrano , Giovanni Miches, einem 1555 aus Venedig verbannten und an Selims Hof gestrandeten Juden.
    Und so war Alvise, mit einem verantwortungsvollen Auftrag versehen und das Herz von Sorge beschwert, aus Ragusa abgefahren, hatte sich von der dalmatischen Küste und den Uskoken-Piraten ferngehalten, eine riskante, zermürbende Fahrt nach Pola bewältigt und segelte nun mit der Entschlossenheit desjenigen, der sein Ziel vor Augen sieht und weiß, dass er nicht scheitern darf, nach Hause.

51
    Den Saal der Häupter der Zehn als freier Mann zu verlassen war für Bepo Rosso, je mehr Zeit verging, zur größten Hoffnung geworden. Als er eine Stunde zuvor, begleitet von Celso Calbo und seinem Gehilfen, die Sala della Bussola durchquert hatte, hatte er freilich noch das sichere Gefühl gehabt, kurz vor seiner Verhaftung zu stehen. Alles deutete darauf hin. Zuerst der Raum, der vermittels einer Treppe direkt mit den Gefängnissen verbunden war. Dann der Zeitpunkt seiner Vorladung: dieAbenddämmerung. Schließlich die Anwesenheit des finsteren, schweigsamen Avogador und die Tatsache,

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