Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
breiten Pritschen, Rosshaarmatratzen und stets sauberen Decken, wurde, an Leib und Seele Schmerzen leidend, Mehmet Hasan verlegt. Und hier traf der alte Türke am Tag des Sturms Gabriele Ruis wieder.
Es geschah kurz vor Sonnenaufgang. Die in den Rio della Paglia eindringende Tramontana streifte über die Ostfassade des Palazzo und verlieh jeder einzelnen der abertausend Kanten, Simse, Bossen, Bögen und Säulen, aus denen die Fassade bestand, eine Stimme. Der Abriss des Hauses von Zuàne della Vedova am gegenüberliegenden Ufer ließ zwar an schönen Tagen die Sonne fast den ganzen Morgen lang auf die Fassade scheinen, bot aber auch, an schlechten Tagen wie diesen, den kalten Winden freie Bahn. Damit der Schneesturm nicht in ihr Gefängnis drang, hatten die Literaten eine Decke über das Eisengitter des Fensters gehängt. Francesco Ziletti, geschickt im Verhandeln und aus reicher Familie, hatte von einem Wächter für einen Soldo pro Tag zwei kupferne Wärmetöpfe mieten können und für nur sechs Soldi einen Sack mit zwanzig Pfund Kohle gekauft. Nichtsdestoweniger hatte in jener Nacht vor Kälte kein Insasse des Gefängnisses schlafen können. Als man draußen Schluchzer hörte und der Schlüssel in das Schloss des ersten Riegels gesteckt wurde, öffnete darum der, der nur ein Auge geschlossen hatte, beide Augen, und wer wach gewesen war, sprang aus dem Bett. Beimzweiten Riegel und dem zitternden Lichtschimmer einer Fackel, der durch das Guckloch und die Spalten in der Holztäfelung fiel, standen alle fünf Literaten schon vor dem Ausgang. Mehmet jedoch blieb, in seine Wolldecke gewickelt, auf der Pritsche in der Ecke neben dem Fenster liegen, in die er sich selbst verbannt hatte.
Die Tür öffnete sich, und der Wächter krümmte und wand sich, um durch die dreieinhalb Fuß hohe und zwei Fuß breite Öffnung zu kommen. Ein zweiter Wächter zwang, mit der Hand gegen ihren Nacken drückend, eine winzige Gestalt, sich ein wenig zu bücken, um unter dem Türpfosten hindurchzukommen, und stieß sie hinein. Der Türke erkannte Gabriele sofort, obwohl sein Gesicht geschwollen war. Er drehte sich zur anderen Seite, zog die Decke fest um sich und dankte Gott, dass wenigstens dieser Junge noch lebte.
»Hör auf zu flennen wie ein Mädchen!«, schrie der Wächter ihn an. »Sind alles edle Herren hier drin in den Giardini , und es wird dir gut gefallen!« An de Ulloa gewandt, fuhr er mit der Ehrerbietung, die man den Mächtigen schuldet, fort: »Ich vertraue Euch diesen Jungen an, Eccellenza, ich vertraue ihn Euch an wie einem Vater.«
»Die Fürsorge übernehme ich gerne«, antwortete der Spanier mit einer leichten Verbeugung.
Da näherte sich der Wächter dem Schriftsteller und flüsterte: »Beschützt ihn, denn die Gesundheit des Jungen liegt Sua Serenità, dem Dogen, sehr am Herzen.«
»Seid unbesorgt«, antwortete de Ulloa überrascht. »Wie Ihr schon sagtet, sind wir alle Ehrenmänner.«
»Ich spreche nicht von Euch«, der Wächter wies auf Mehmet, »sondern von diesem Türken mit barbarischen Sitten.«
De Ulloa wandte sich einen Augenblick lang zu ihm um. »Das ist nur ein armer alter Mann, unglücklich und ohne Hoffnung wie ich.«
»Vertraut ihm nicht!«, flüsterte der Wächter scharf. Dannwünschte er allen eine gute Nacht und ging hinaus. Das Türchen wurde zugeknallt, die Riegel schoben sich durch die Ringe, und die Schlüssel wurden herumgedreht. Es blieben das Pfeifen des Windes und Gabrieles Schniefen. Er hatte sich fest in seine Decke eingewickelt und auf dem breiten Stuhl unter dem Fenster zusammengekauert, wo starke Zugluft herrschte.
»Komm her, mein Junge«, sagte der Notar Bertoldi da Bassano. »Willst du krank werden?«
»Hier gibt es einen Wärmetopf, der ist ein unfehlbares Heilmittel«, fügte Ziletti hinzu, eine Handvoll Kohlen auf die Glut werfend.
»Wie heißt du?«, fragte eine andere Stimme.
Doch Gabriele verharrte zusammengekrümmt, ohne den fünfen, die ihn besorgt betrachteten, eine Antwort zu geben. De Ulloa bedeutete ihnen, zu warten, ging auf Gabriele zu und setzte sich neben ihn. Der Türke folgte der Bewegung aus dem Augenwinkel.
»Mein Söhnchen, ich glaube …«, hub der Spanier an.
»Verreck doch, Alter!«, stieß der hervor.
Mehmet, der alles gehört hatte, freute sich darüber: Offenber hatte der Junge sich nicht verändert. Er wäre gerne aufgestanden, um sich ihm zu erkennen zu geben und ihn zu ermutigen, aber er hielt sich zurück, denn er fürchtete seine
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