Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
großen Freude der Wächter schon immer im Umlauf gewesen. Für alle bedeutete der Handel mit Waren und Gefälligkeiten einewillkommene Aufstockung ihres Lohns. Doch so viele Dukaten auf einmal hätten Begehren und gefährliche Phantasien wecken können. Sonderbar, dass der Türke sie noch besaß, denn die erste Durchsuchung nach der Verhaftung war sehr gewissenhaft, die Wächter steckten ihre Finger überall hinein, in die Körper wie in die Kleider. Und auch bei den folgenden Durchsuchungen, die unangekündigt kamen, wurden der Gefangene und die Zelle so gründlich untersucht, dass nichts verborgen blieb.
Andrea nahm einen Dukaten und rieb ihn zwischen Zeigefinger und Daumen, um ihn zu trocknen. Dann brachte er ihn vor die Flamme, die auf niedrigster Stufe stand.
SM VENET PETRUS LANDO
Die Schrift umrahmte das Bild des Dogen Pietro Lando, der vor dem Apostel Markus kniete. Eine dreißig Jahre alte Prägung. Er nahm eine zweite Münze, betrachtete sie. Sie war noch früher geschlagen worden, unter dem Dogen Andrea Gritti. Alle Münzen waren zwischen dreißig und sechzig Jahre alt, und drei Dukaten stammten sogar aus der Zeit vor dem 16. Jahrhundert, als der Doge Leonardo Loredan geherrscht hatte. Doch der größte Teil der Stücke ging auf die Regierungszeit der Dogen Gritti und Lando zwischen 1523 und 1545 zurück. Neuere Münzen waren nicht dabei.
Warum? fragte sich Andrea, und plötzlich fielen ihm die musine ein, jene kleinen runden Gefäße mit einem Schlitz, in denen Kinder ihr Geld verwahren. Er erinnerte sich an seine Musina in Form einer Sonne, die er viele Jahre später zufällig auf dem Dachboden seines Elternhauses wiedergefunden hatte, an das erregende Gefühl, als er den Inhalt klimpern hörte, sie zerschlug und die Münzen unversehrt fand. Vielleicht hatte auch der alte Türke seine Musina zerschlagen. Ihm schien, als gehörte diese unerklärliche Tatsache in die Reihe außergewöhnlicher Dinge, die ihm seit der Explosion des Arsenale widerfuhren, und erfülltvon diesem Gedanken, über eine Lösung grübelnd, blickte er hinüber zu Sofia, die ruhig unter einer Steppdecke aus rotem Damast schlief, die Hand an eine Wange geschmiegt. Francesco hatte sich ein Lager auf der Truhe geschaffen, wo er eine Decke ausgebreitet hatte, und auch er war eingeschlafen.
Andrea konzentrierte sich auf den tiefen Heulton, den die Tramontana im Kamin erzeugte, und schloss die Augen. Diese Art Geräusche liebte er, sie waren die Rufe einer natürlichen, schützenden, aber auch unvorhersehbaren Außenwelt. Er legte die Münzen in das Stück Stoff zurück und verband die Ecken fest miteinander. Als er sich mit den Händen auf die Armlehnen des Scherenstuhls stützte, knarrte das Holz. Er stand auf, ging zum Fenster und betrachtete den Schnee, der die Stadt bedeckte.
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Die Giardini des Dogenpalastes an der Seite des Rio di Palazzo waren dank des schöpferischen Genies des Architekten und Werkmeisters Antonio da Ponte in weniger als einem Jahr Arbeit entstanden. Der Rat der Zehn selbst hatte mit einem Beschluss vom 26. November 1568 die Arbeiten eingeleitet, die eine Hälfte der unbenutzten und dank einer doppelten Freitreppe und eines Balkons vor Hochwasser geschützten Bootsremise in einen angenehm geräumigen Platz mit mildem, wohltuendem Klima verwandelten.
Eine kleine Schar berühmter Namen aus dem Kulturleben hatte die Giardini vor zwei Monaten eingeweiht. Zuvörderst der bekannte spanische Schriftsteller Alfonso de Ulloa, seit Jahren in Venedig ansässig, für den sich Philipp II. von Spanien schon im August gegenüber dem Dogen verwendet hatte, freilich ohne eine vorzeitige Beendigung der Haft erwirken zu können.
Es folgten der Literat Francesco Ziletti, ein tüchtiger Drucker und Erbe einer Dynastie venezianischer Verleger undBuchhändler, und der Notar Vincenzo Bertoldi da Bassano, ein Sammler seltener Bücher und Liebhaber philosophischer Studien. Zu dem Terzett hatten sich später zwei weitere illustre Namen gesellt: der Buchhändler Francesco Rampazetto, Verleger unter anderem der herrlichen Historia dell’Impresa di Tripoli di Barbaria des bereits erwähnten de Ulloa, und Gabriel Giolito, ebenfalls Verleger und Buchhändler, außerdem Freund und Bewunderer des spanischen Schriftstellers. Kurzum, schon bald erhielten die Giardini den Namen Giardini dei Letterati .
In eben dieses neue, trockene und behagliche Gefängnis mit Wänden aus istrischem Kalkstein, eingerichtet mit Tisch und Schemeln,
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