Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
hatte Nicolò Surian, Patron des Arsenale, in Begleitung einer Eskorte von zwanzig Soldaten fünf Säcke mit jeweils tausend Golddukaten direkt aus der Münze geholt und sie in die Kassen des Arsenale gebracht, um am Donnerstag, dem 15. September, dem ersten Arbeitstag nach dem Fest der Kreuzerhöhung, die vorgesehene Auszahlung der Löhne vornehmen zu können. In der Nacht vom 13. auf den 14. September hatte die Explosion stattgefunden, und erst am folgenden, chaotischen Morgen hatte der Scrivano Grande , der Schriftführer des Arsenale, bei der Überprüfung der Geldkammer auf eventuelle Schäden zufällig entdeckt, dass dort tausend Dukaten fehlten. Tatsächlich bestätigte ein portoner, ein Wächter des Arsenale-Tors zu Land, später, er habe kurz vor Mitternacht eine der Wachen mit gezückter Arkebuse und einer Laterne in der Hand an den Docks des Alten Beckens entlang bis zum Neuen Becken für die Galeassen laufen und hinter der Mauer zur Celestia verschwinden sehen. Alarmiert hatte er beschlossen, die anderen Nachtwächter zu informieren. Doch bevor er in ihr Quartier gelangen konnte, hatte sich die Explosion ereignet.
Diese Wache war, wie sich feststellen ließ, der unerfahrene Neuling Marco Puti gewesen, und seine Verfolgungsjagd hatte bei der dritten Pulverkammer geendet. Nun setzte jenes Projektil die Erzählung fort und fügte ein nicht unerhebliches Detail hinzu: Dort drinnen hatte Puti geschossen, und vielleicht war es zu einem Zweikampf mit dem Dieb gekommen. Von diesem war indes keine Spur gefunden worden, kein Fitzelchen Fleisch, keine Knochen, keine persönlichen Gegenstände und nicht einmal ein einziger Golddukaten von den tausend, die in dem Sack gewesen waren. Diesem sonderbaren Dieb, der die Schlösser einer verstärkten, verriegelten Tür und einer Truhe geöffnet und wieder geschlossen hatte, um sich nur den fünften Teil eines Schatzes zu nehmen, musste es also darüber hinaus gelungen sein, zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen. Doch wohin, in Anbetracht des kurzen Zeitraums zwischen dem Moment, in dem der Portoner Putis Lauf beobachtet hatte, und der Explosion?
Nachdem Andrea Dolfin sich rasch mit Catanio und da Ponte beraten hatte, wandte er sich mit finsterer, nachdenklicher Miene an die gesamte Zonta, um seinem von allen geteilten Ärger Ausdruck zu geben: »Hochverehrte Signori«, begann er halblaut, wobei er auf Seghezzi zuging, »was uns der tüchtige Maestro Seghezzi in aller Klarheit bewiesen hat, muss uns nicht wundern. Es liegt auf der Hand, dass die Bewachung dieses heiligen, unverletzlichen Hauses aller Venezianer leck ist wie ein Boot aus fauligem Holz.« Er blickte den Patron des Arsenale scharf an, und seine Stimme wurde eiskalt. »Es ist offensichtlich, dass die Anordnungen in Sachen Geheimhaltung und Sicherheit, die vor geraumer Zeit vom Rat der Zehn, den hier zu vertreten ich die Ehre habe, an den Ohren derer, die sie hätten hören sollen, wie Eselsfürze vorübergegangen sind.« Dolfin machte eine Pause, und die nun folgenden Worte fielen in ein bleiernes Schweigen. »Capitano Cocco, Ihr, die Ihr so aufmerksam über diesen Orthättet wachen sollen wie ein Vater über Leib und Leben seiner Kinder – könnt Ihr die Schwere dieser Ereignisse ermessen?«
Der gedrungene Mann mit breitem Gesicht, der ein pompöses Gewand aus Damast und einen schwarzen Umhang trug, senkte die Augen und den Kopf, beugte den Rücken und legte die Hände über der Brust zusammen. Diese Geste der Unterwerfung machte den Eindruck, als erwarte er schon den Schwerthieb im Nacken.
»Hat es Euch an Männern gefehlt?«, drang das Haupt der Zehn weiter in ihn. »Oder mangelte es Euch vielleicht an Erfahrung?«
Der Hauptmann hob den Kopf, zog seinen Degen aus der Scheide und reichte ihn Andrea Dolfin.
»Meine Schuld, Eccellentissimo«, sagte er mit einem kaum verständlichen Flüstern, »soll nicht auf andere fallen.«
»Behaltet Euer Schwert, Capitano, und lasst das Theater! Wir sind nicht hier, um über Euch zu richten. Wenn der Sturm sich gelegt hat, wird eine andere Zonta das Urteil über Euch sprechen, seid dessen gewiss.« Dolfin blickte ihn streng an. Cocco neigte leicht den Kopf und steckte den Degen zurück in die kurze Scheide, die er am Gürtel trug.
»Hört mir aber gut zu«, fügte Dolfin kalt hinzu, »denn wenn ich Euch jetzt einen Befehl erteile, spreche ich im Namen aller Anwesenden.« Er drehte sich zu Catanio und da Ponte um, welche nickten. Dann fuhr er fort, den
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