Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
sprechen, was Ihr wollt, außer über die von Euch erwähnte Signora. Ich sage Euch nur, dass sie besessen ist.«
Da Andrea den Ruf des Mannes kannte, hatte er eine solche Antwort erwartet. Immerhin hatte er jetzt die Bestätigung, dass Sofia unter Schellinos Gerichtsbarkeit stand. In dem nun folgenden Schweigen empfand Andrea die ganze Ohnmacht der Vernunft im Angesicht der Macht. Er dachte an die Worte desChiffreurs Marin über Gerechtigkeit und Gedankenfreiheit und fühlte den übermächtigen Wunsch, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen. Um Sofias willen nahm er sich zusammen und versuchte, die Situation zu entschärfen.
»Verzeiht mir, ehrwürdiger Pater, doch vom menschlichen Standpunkt aus verdient das Schicksal der Signora Ruis wirklich alles christliche Erbarmen.«
Schellino wandte sich zu ihm um, seine Strenge schien etwas gemildert.
»Seid unbesorgt. Ich habe diese arme Seele in die Obhut der Schwestern von San Servolo gegeben. Das Amt, dem zu dienen ich in aller Demut die Ehre habe, begreift die Vergebung als sein Ziel und die Reue als Mittel zu dessen Erreichung.«
Andrea verspürte den heftigen Wunsch, ihn zu ohrfeigen. Er begnügte sich damit, die Augen zu schließen. »Ihr habt recht, und ich danke Euch ehrwürdigster Padre«, flüsterte er, scheinbar zerknirscht.
In diesem Augenblick hörte man in der schiefen Kirche einen konfusen, noch fernen Lärm, der sie schon bald ganz erfüllte und die Aufmerksamkeit der anderen Mönche des Predigerordens und des Priesters am Altar weckte.
Dass die Situation ernst war, erkannte Andrea sofort, als er auf den Kirchplatz hinaustrat und die Menschenmenge sah, die über die Fondamenta di Sant’Anna auf die Kirche zumarschierte. An der Spitze des Zuges ging Bernardo, ihm zur Seite, heftig auf ihn einredend, der Pfarrer der Bragola, Don Zuànino, der offenbar versuchte, ihn zur Vernunft zu bringen. Mit jedem Schritt gesellte sich jemand aus den Calli zu der Gruppe, bis daraus eine kleine Schicksalsgemeinschaft wurde, deren Anführer Bernardo war.
Die Spitze dessen, was sich zu einem lärmenden Umzug ausgewachsen hatte, bog nach rechts ab auf die Brücke über den Rio Sant’Anna. Bernardo ging an der Kirche vorbei und bliebvor dem Eingang zum Kloster stehen. Dort stieg er die drei Stufen zur Tür hinauf und wandte sich an die Menge.
»Wartet Bernardo! Macht keine Dummheiten!« Andrea bahnte sich einen Weg durch die Menge und stieg auf die erste Stufe. »So werdet ihr Sofia nur schaden!«
»Schweigt!«
»Sie werden Euch nicht hereinlassen! Hier herrschen die kirchliche Rechtsprechung und Immunität! Wir werden uns an unsere Savi für Ketzerei wenden!«
Bernardo rümpfte die Nase und sah ihn scheel an. »Redet nicht so geschwollen daher!«
»Rom dem Papst! Venedig den Venezianern!«, ertönten wieder Schreie aus der Gruppe.
Was dann geschah oder zumindest so in den Akten der Quarantia Criminal protokolliert wurde, dauerte eine halbe Stunde und führte nur durch ein Wunder nicht zu Toten und weiteren Verletzten. Andrea Loredan konnte nicht mehr tun, als sich zwischen Don Zuànino und die von Bernardo angeführte Schar der Arsenalotti zu stellen, als sie begannen, den Priester wüst zu beschimpfen.
Fra Schellino, der aus dem Kloster gekommen war, um Bannflüche gegen die Aufrührer auszustoßen, rettete sich nur dank einer körperlichen Gewandtheit, die keiner bei ihm vermutet hätte. Schon zwei Jahre zuvor, noch als Inquisitor in Brescia, war er nur knapp der tobenden Menge entkommen, indem er sich in den Palazzo della Loggia geflüchtet hatte. Dieses Mal musste er während seiner Flucht einem Arsenalotto, der ihn an seinen Umhang gepackt hatte, das Kleidungsstück überlassen, um im Schnelllauf das Krankenhaus San Bartolammo zu erreichen, es durch die Hintertür wieder zu verlassen und zu verschwinden.
Darauf entlud sich die Wut der Menge gegen das Kloster, und während Steinwürfe jedes der Fenster zerschmetterten, die auf die Calle gingen, bewaffneten sich Bernardo und weitere zehn Männer mit zwei Galeerenrudern. Mit Rammstößen sprengtensie das Eingangstor und strömten ins Innere. Der Lärm rief noch mehr Neugierige aus den umliegenden Calli und Campi herbei, so dass es in dieser Ecke vom Stadtviertel Castello binnen kurzer Zeit aussah wie in einer belagerten Stadt. Im allgemeinen Durcheinander tat Andrea gut daran, Don Zuànino in Sicherheit zu bringen. Er begleitete ihn zum Paludo di Sant’Antonio, der Südspitze von Castello, in das
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