Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
gegeben hatte. Die Nachricht löste stürmische Reaktionen aus, sehr zu Mocenigos Missvergnügen. Denn wenn die Arsenalotti im Spiel waren, gab es immer Probleme, wie auch beim Aufstand im vergangenen März, und so war es seit jeher gewesen.
Als dann Andrea Loredan in seiner Funktion als Gefängnisanwalt den Senat betrat, um das Wort bat und, nachdem er es trotz Murren aus einigen Reihen erhalten hatte, berichtete, was der venezianischen Bürgerin Sofia Ruis widerfahren war, dieder Inquisitor Schellino ohne Prozess hatte entführen und einsperren lassen, entfachte er damit erneut die jahrelange Debatte zwischen der Republik und dem Heiligen Stuhl über die Entscheidungsbefugnisse des Inquisitors des Heiligen Offiziums in Fragen der Regierung Venedigs. Im Saal entbrannte ein hitziger Streit zwischen den Papsttreuen unter der Führung von Lorenzo da Mula, Giulio Contarini und Andrea Barbarigo und den Antiklerikalen, an denen Spitze drei so renommierte Redner wie Giovanni Donà, Nicolò da Ponte und Sebastiano Venier standen. Und wieder wären die gegnerischen Parteien handgreiflich geworden, wenn die Fanti, Wachen, Dogenknappen und sogar die Pförtner sich nicht eingemischt und eine unüberwindliche Schranke errichtet hätten.
Inmitten dieses Durcheinanders, während Fäuste geschwungen und derbe Schimpfworte gewechselt wurden, schlich sich Alvise Mocenigo heimlich an Andreas Seite und zischte ihm mit gezwungenem Lächeln zu: »Venedig hat andere Sorgen als die Wahnvorstellungen dieser armen Frau.«
»Um ehrlich zu sein, Messere, dachte ich immer, es sei die erste Pflicht eines Savio für Ketzerei, die Willkür des Inquisitors zu überwachen! Venedig ist zur Geisel des Papstes geworden!«, gab Andrea in bitterem Ton zurück.
Der dichte Bart des Savio zitterte leicht, und seine Nasenlöcher weiteten sich, er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, doch er verstummte, weil die zwei Flügel der Tür sich öffneten und der Doge Loredan auf der Schwelle erschien, begleitet von seinem Sohn Alvise.
Das allgemeine Geschrei verringerte sich auf wenige Brandherde, dann erstarb es ganz. Obwohl Vorsicht es nicht angeraten erscheinen ließ, ging Andrea seinem Vater entgegen, verbeugte sich leicht und stellte sich an seine Seite. Nicolò Gritti und der Sekretär Frizier folgten seinem Beispiel. Langsam erklomm der Doge die Tribüne, Stufe um Stufe, begleitet von quälender Stille. Er setzte sich auf den Thron, und sein mühsames Atmen erfülltedie Luft und bewegte die Herzen. Andrea und Alvise stiegen von der Tribüne hinab und setzten sich auf ihre Stühle.
»Eure Kämpfe«, begann Pietro Loredan, an den gesamten Senat gewandt, »hallten durch den ganzen Palazzo und nötigten mich, hinaufzukommen. Was ist also der Grund für so viel Zwietracht?«, fragte er mit müder und betrübter Stimme.
Die Antwort war ein dumpfes Stimmengewirr. Der Doge blickte wartend auf die Menge. Keiner rührte sich, um seine Frage zu beantworten. Da trat der erste Dogenratgeber Gritti zu ihm und begann die Situation zu erklären. Andrea blickte zu Alvise Mocenigo, der diese leise Unterredung sichtlich verärgert beobachtete, weil er wusste, dass Gritti dem Dogen eng verbunden war. Pietro Loredan warf einen Blick auf Mocenigo und seinen Sohn Andrea, faltete die Hände und senkte die Augen. Als die rasche Zusammenfassung der Ereignisse beendet war, rief er Francesco Pisani zu sich, den Avogador di Comun, einen gebildeten Mann, Liebhaber der Philosophie, und bat ihn um seine Meinung. Ohne Umschweife sprach der Avogador den Aufstand der Arsenalotti und dessen Ursache an. Seine Ausführungen waren höflich und ausgewogen, er schloss mit der Ermahnung, wie wichtig es sei, Eintracht in der Familie, also zwischen allen Venezianern herzustellen, bevor so schwerwiegende Probleme wie der Krieg oder Frieden mit dem Türken besprochen wurden. Darum schlage er vor, dem Kloster San Servolo sofort einen Besuch abzustatten, um die Geschichte von Sofia Ruis zu klären. Als Antwort kam nur Gemurmel, kein Protest oder Streitereien, und Andrea begriff, dass der Senat dafür stimmen würde.
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Der Bootsfriedhof von San Biagio lag hinter der Westspitze der Giudecca. Dort, auf diesem schwankenden, schlammigen Boden wurden alte Boote abgewrackt, und mit der Zeit hatte sich eine ganze Insel aus Holzgerippen und gestrandeten, umgekippten Bootsrümpfen mit schiefen, gebrochenen Masten gebildet. Inmitten all dieser verbogenen, zerbrochenen, abgeschliffenen und halb im
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