Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
die Betten, schlichte Holzgestelle. Es waren etwa fünfzehn, jedes hatte einen Eimer, ein Wandbrett und ein Kruzifix. Doch Sofia war nicht da. Er sah die doppelten Gitter vor den Fenstern, wie bei jedem Gefängnis. Der Fußboden aus Backstein in Fischgrätmuster war blank gewienert. Es war alles perfekt.
Zu perfekt, dachte Andrea, als er den großen Kamin erreicht hatte, in dem ein gewaltiges Feuer brannte, das Luft ansog und Wellen heißer Luft aussandte. Etwas war sonderbar an diesem Kamin. Andrea nahm den Schürhaken und wühlte in der Glut. Die Hitze war unerträglich, er musste einen Schritt zurückgehen. Sein Blick fiel auf die gusseiserne Platte, die die Wand verkleidete: Sie war nagelneu, eben aus der Gießerei gekommen. So auch die Kaminwände und die Steine, sie trugen keinerlei Spuren von Ruß, der in einem solchen Reich des Feuers unvermeidlich an den Wänden klebt. Dennoch schien der Kaminnicht eben erst erbaut, denn es gab keine frischen Fugen an den Wänden, und die Steine, die seinen Sockel bildeten, waren die gleichen wie die des Fußbodens. Da begriff Andrea, dass der Kamin niemals benutzt wurde, und erkannte, dass alles, was er sah und hörte, falsch sein musste: reine Inszenierung nur für diesen besonderen Tag. Er bemerkte, dass Nicolò da Ponte ihn beobachtete und kehrte zu ihm zurück, begnügte sich aber mit einem leichten Kopfschütteln.
Der Senator nahm sich die Zeit, einen Schluck Likör zu trinken. Dann wandte er sich an die Äbtissin. »Sagt mir, ehrwürdige Mutter, sind all Eure Schützlinge hier versammelt?«
Bei diesen Worten verdüsterte sich die Miene der Äbtissin, sie fing an zu stottern und warf hilfesuchende Blicke zu da Mula, dem Provveditore für die Klöster, ja sogar zu ihren Mitschwestern.
Das Zimmer war warm. Auch hier brannte ein Feuer im kleinen Kamin, alles war ordentlich und sauber. Die junge Nonne, die neben dem Bett saß, erhob sich und ging auf die Mutter Oberin zu, die in der Tür stand. Dann sah sie die vielen adeligen Herren hinter ihr und schien zu zögern.
»Wie geht es ihr?«, fragte die Äbtissin besorgt.
»Sie ist gerade eingeschlafen«, antwortete die Nonne mit einem ängstlichen Blick auf die Gäste.
»Seht Ihr, den besessenen Seelen widmen wir die gleiche christliche Liebe. Wenn Ihr eintreten wollt, bitte sehr, doch hier vermag die Medizin recht wenig«, sagte die Äbtissin, an die Delegation gewandt.
»Mir genügt, was ich sehe«, erklärte Lorenzo da Mula im überzeugten, zufriedenen Ton. »Und ich glaube, dass auch meine verehrten Kollegen Eure christliche Liebe zu schätzen wissen.«
Andrea, der aus dieser Entfernung und wegen des Halbdunkels nicht einmal erkennen konnte, wer in dem Bett lag, blickte da Ponte an, der jedoch seinen Kampfgeist verloren zu habenschien. Auch Luca schwieg, obwohl er sich von den Worten der Äbtissin direkt angesprochen fühlen musste. Der Avogador Pisani und der Provveditore Bembo schienen, beruhigt durch das, was sie sahen, sogar umkehren zu wollen.
Andrea spürte, dass er handeln musste. »Ich möchte bitte eintreten«, sagte er höflich, und ohne zu zögern, schritt er durch die Tür ins Zimmer und ging bis an das Bett.
Anfangs erkannte er sie nicht. Man hatte ihr den Kopf geschoren wie einem Galeerensträfling, sie lag mit einer Wange auf dem Kissen, die andere bedeckte sie mit ihrer Hand. Die Lippen waren leicht geöffnet, die Decke bis zu ihren Schultern hochgezogen. Er spürte ihren Atem, folgte den Linien ihres Profils, und sie erschien ihm unschuldig wie ein Kind. Dann bemerkte er die Kratzer auf der Stirn, die blauen Flecke und eine Verletzung am Handgelenk. Er drehte sich zu Luca um und winkte ihn ans Bett. Der Freund zögerte kurz, dann kam er zu ihm.
»Sieh dir das an«, flüsterte Andrea fassungslos.
»Leuchte mir.«
Andrea hielt den Kandelaber dicht vor ihr Gesicht.
»Großer Gott, wie haben sie sie zugerichtet«, murmelte der Arzt leise, während er die Verletzung am Handgelenk und die Schwellungen im Gesicht betrachtete. »Offenbar wurde sie mit einem Strick gefesselt.«
»Genauso ist es.«
Andrea und Luca drehten sich gleichzeitig um. Einen Schritt hinter ihnen stand die Äbtissin.
»Zu ihrem eigenen Besten«, sagte sie feierlich und ernst. »Es sind zügellose Seelen, besessen von den Geistern der Hölle.«
Jäher Zorn packte Andrea. »Was redet Ihr da?«
»Bleib ruhig!«, warnte ihn Luca.
»Ihr hättet sie sehen sollen, wie sie sich den Körper zerkratzte, Messere! Wie sie sich gegen
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