Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Hammer und Stemmeisen. Sie legten eine Matte auf den Backsteinboden und begannen zu hämmern. Der Putz fiel herunter, dann rote Splitter von Backsteinen. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie ein Loch geschlagen hatten, durch das ein Stock passte. Als man ihn in das Loch steckte, war sofort klar, dass dahinter etwas war. Binnen einer Stunde wurde aus dem Loch ein breiter Spalt, durch den man einen Arm stecken, eine Laterne darauf abstellen und das Innere mit einem Spiegel erleuchten konnte.
Noch bevor Angelo Riccio Zugriff bekam, roch er den Geruch der Bücher. Auch Schellino, der seine gewaltige Nase an den Spalt hielt, hatte keinen Zweifel und rief aus: »Papier! Da drin ist sehr viel Papier!« Er überließ Riccio die erste tastende Erkundung. Der Frate krempelte sich den Ärmel auf und steckte seinen nackten Arm durch die Öffnung. Sofort erfühlte er an den Dauben und Nägeln eine Kiste, und als er etwas weiter oben tastete, ein Buch.
»Da sind sie«, sagte er laut. Seine zuvor so trübselige Stimmung verwandelte sich in aufrichtiges, begeistertes Staunen. Er konnte den Rücken des Buches ergreifen und es langsam aus dem Versteck ziehen. Der Spalt war etwas zu eng für das Buch, Riccio stemmte sich gegen das Mauerwerk und schürfte sich den Arm ab, nur um den unwiderlegbaren Beweis in Händen zu halten, der ihn in aller Augen rehabilitieren würde. Zum Glück hatte das Buch nur wenige Seiten und war in weiches Pergament gebunden, so dass es zusammengebogen werden konnte und unversehrt herauskam.
Reglos las Riccio den Titel, und die Emotion war so stark und unerwartet, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Denn hinter diesem Titel steckte mit Sicherheit die gerechte Hand Gottes, um ihn voll und ganz für das Misstrauen und die anfängliche Feindseligkeit Schellinos und des Prokurators zu entschädigen:
ÜBER DIE VERWANDLUNG
DER METALLE
von M. Antonio Allegretti
Umgeben von tiefem Schweigen, hielt er das alchemistische Werk mit einer gekonnt theatralischen Geste zwischen Daumen und Zeigefinger, als hätte er das Gewand eines Pestkranken in den Fingern, und reichte es an den Inquisitor weiter. Der las und bekreuzigte sich, um es dann dem Prokurator auszuhändigen, welcher stirnrunzelnd den Abt anschaute. Gleich darauf begannen sie, die Mauer einzureißen. Als die ersten Bücher zum Vorschein kamen, erschienen die Mönche, denen die Lektüre oblag, und die Selektion begann.
Jacomo und Andrea standen versteckt hinter einem Fensterladen im zweiten Stock des Gästehauses und beobachteten das Hin und Her der Soldaten zwischen dem vierten Haus und den drei Karren, die knapp unterhalb der Einsiedelei auf der Straße warteten, wo das Gefälle weniger stark war. Die Bücher wurden direkt in den Kisten weggebracht, jede wegen ihres Gewichts von zwei oder mehr Soldaten getragen. Beim Anblick der Bücher hatte Andrea zunächst gedacht, es seien wirklich die Bücher seiner Mutter. Doch Jacomo hatte ihn beruhigt. Diese Bücher waren zwar wertvoll und bedeutend, aber sie waren das Opfer, um die Inquisition zu beruhigen und Pius V. davon zu überzeugen, dass die Regierung der Serenissima und ganz Venedig guten Willens waren und Buße tun wollten. Schon bald würde es auf der Piazza San Marco den größten Scheiterhaufen ketzerischer, gefährlicher und böser Bücher geben, den die christliche Welt je gesehen hatte. Ein Vorbild für alle.
»Ein inszeniertes Schauspiel …«, flüsterte Andrea staunend.
»Eine tragische Realität«, berichtigte ihn Jacomo bitter. Doch eine Realität, die der Suche nach der echten Bibliothek Lucrezias ein Ende setzen würde, so hofften sie wenigstens.
Es wurde Zeit, sich vorzubereiten, denn sobald die Karren mit den Büchern abgefahren waren, würden sich die beiden auf denselben Weg machen, um nach Venedig zurückzukehren und ihre Rechnung mit der Justiz der Serenissima abzuschließen.
128
Am Ende hatte der Procuratore Lorenzo da Mula über Schellino gesiegt, der ein Ermittlungsverfahren gegen den Abt und die Gemeinschaft der Hohen Einsiedelei eröffnen wollte. Die Sache war vorerst beigelegt, die Entscheidung an eine Vollversammlung des Heiligen Offiziums und des Rates der Zehn verwiesen. Angelo Riccio war dieser Zwist gleichgültig. Glücklich und noch immer nicht ganz überzeugt, griff der Frate immer wieder zu dem Ledersäckchen mit den Diamanten, das Lorenzo da Mula ihm überreicht hatte. Sie hatten ihr Wort gehalten, diese venezianischen Hunde, und fast tat es ihm leid,
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