Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
schwankte, Schreie ertönten. Frate Angelo hatte kaum Zeit, sich zu wundern, als bereits einer seiner Männer durch die Luke in den Kielraum fiel. Mit einem blöden Ausdruck im Gesicht machte der Mann zwei Schritte, dann stürzte er der Länge nach auf die Kisten. Im selben Moment wurde das Halbdunkel von Lichtblitzen erhellt. AufDeck öffneten sich mehrere kleine Luken am Heck und am Bug, durch die sie zu sechst oder siebt schreiend und um sich schießend schlüpften, Feuerzungen und Rauchwolken verbreitend. Riccio drückte sich an die Kielwand. Alles dauerte zwei Atemzüge lang, in dem vom Pulverdampf erfüllten Kielraum hörte man außer Schmerzensschreien nur den Befehl von Beato Bringa: »Auf die Knie, Frate! Und zeigt Eure Hände!« Riccio sah den Lauf einer Büchse auf sein Gesicht gerichtet und hob benommen die Arme. Dann Schritte auf Deck. Jemand kam die Leiter herunter. Angelo Riccio sah ihn nur von hinten, aber er erkannte das Gewand und die Haltung. Es war der Sekretär der Zehn. Zuàn Formento starrte ihn an, bleich vor Zorn. Einen Augenblick später versetzte er Riccio einen heftigen Schlag ins Gesicht. Er ließ ihn durchsuchen. Sie brauchten nicht lange, um das Säckchen mit den Diamanten zu finden. Dann befahl er Bringa, ihn wegzuschaffen.
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Für das große Feuer, wie es sofort genannt wurde, hatte man den Sonnabend ausgesucht, weil der Tag, an dem der Schöpfer ruhte, nachdem er den Himmel, die Erde und alle Lebewesen geschaffen hatte, für Gott und für die Juden heilig ist. Der Sonnabend war auch gewählt worden, um der sonntäglichen Versammlung des Großen Rates nicht ins Gehege zu kommen. Die Entscheidung hatten Alvise Mocenigo und der apostolische Nuntius Giovanni Facchinetti während eines gemeinsamen Mittagessens auf der Giudecca getroffen. Das Pien Collegio hatte sich einstimmig angeschlossen. Der Senat hatte unterschrieben. Die Vorbereitung des Ereignisses war dem Architekten Antonio da Ponte anvertraut, dem der Werkmeister des Arsenale Zuàne di Zaneto zur Seite stand. Die von Alvise Mocenigo mit mathematischer Präzision, praktischem Sinn undpolitischem Gespür ausgesuchte Stelle für das Feuer lag auf der Piazza, und zwar an dem idealen Mittelpunkt zwischen dem Dom von San Marco und der gegenüberliegenden Kirche San Geminiano zwischen den Prokuratien und dem Ospizio Orseolo am Fuß des Campanile.
Mocenigo hatte die Piazza ausgesucht, weil sie eine vorwiegend sakrale, religiöse Aura besaß, verglichen mit der eher weltlichen Piazzetta, an welcher der Palazzo Ducale und die Bibliothek der Libreria Marciana lagen. Auf diese Weise wollte Mocenigo die Republik Venedig von der religiösen Tragweite einer so schändlichen Tat entlasten und allein die Kirche dafür verantwortlich machen. Bücher vor einer Bibliothek zu verbrennen wäre außerdem allzu blasphemisch und respektlos gewesen.
Zehn Köhler, fünfzig Maurer und hundert Arsenalotti hatten eine Woche lang an der Feuerstelle gearbeitet, um einen fünfzig mal fünfzig Fuß großen Sockel aus einer fünf Fuß hohen Steinmauer zu bauen und die so geschaffene Wanne mit Steinen und Erde zu füllen. Der eigentliche Scheiterhaufen wurde erst Freitagnacht aufgerichtet, aus Angst, ein möglicher Regenguss könnte die Holzscheite, die Rollen mit griechischem Feuer und die Bücher durchnässen.
Als am Sonnabend bei Tagesanbruch alles fertig war, fand der Architekt da Ponte bestätigt, was er von Anfang an befürchtet hatte, nämlich dass die zehntausend Bücher und dreihundert Handschriften zwar einen beachtlichen Stapel bildeten, sich auf der riesigen Piazza aber eher als jämmerliches Häuflein ausnahmen und gewiss nicht wie der apokalyptische Scheiterhaufen wirken würden, der Mocenigo vorgeschwebt hatte. Da Ponte ließ den Procuratore sowie Savio für Ketzerei holen und schilderte ihm das Problem. Mocenigo schritt das Bauwerk der Länge und Breite nach ab und musste feststellen, dass dieses Schauspiel dem Kardinal und Staatssekretär Michele Bonelli, einem Großneffen von Pius V., der extra zu diesem Anlass aus Romangereist war, dem Nuntius Facchinetti, dem Patriarchen Trevisan, der großen Schar Bischöfe und Prälaten, dem gesamten diplomatischen Korps und den ausländischen Delegationen tatsächlich erbärmlich, wenn nicht lächerlich erscheinen würde. Den Adeligen und Bürgern von Venedig dazu. Ganz zu schweigen vom Volk, das ein so jämmerliches Spektakel noch jahrelang in Gesängen und Tänzen verspotten würde. Die Lösung fiel
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