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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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ihm spontan ein, es war ein Geistesblitz, wie er sich oft in den schwierigsten Momenten einstellt. Er befahl da Ponte, eine Handvoll vertrauenswürdiger Männer zu sammeln, sie fürstlich zu entlohnen und unter Anleitung des Großkanzlers Ottobon so viele alte und inzwischen unleserlich gewordene Bücher, Verzeichnisse und Akten wie möglich aus den Abstellkammern, Kellern und Archiven des Dogenpalasts zu holen, was auch sofort geschah.
    Um die dritte kanonische Stunde war die Piazza überfüllt, und jetzt reichte der mit mehreren Zentnern Aktenbündel aufgestockte Scheiterhaufen bis zum ersten Stock der Prokuratien. Zum Schutz der Zuschauer umringte ein Kordon aus Arsenalotti die Feuerstätte und hielt das Publikum in gebührendem Abstand. Auch war eine große Anzahl Feuerwachen an den vier Seiten der Piazza, auf dem Campanile und auf jedem Gebäude im Umkreis von hundert Schritten postiert. An allen Fenstern, auf jeder Loggia, jedem Balkon, Altan und Portego standen Menschengruppen in Erwartung des Feuers. Für Kardinal Bonelli war eigens eine Tribüne errichtet worden, direkt vor der Kirche San Geminiano, damit der Blick auf den Brand so bewegend wie möglich für ihn werde, denn den Hintergrund bildeten so die Fassade von San Marco und die drei Fahnenmasten, an denen zu diesem Anlass die Banner Venedigs und des Papstes mit dem Schild aus rotgoldenen Streifen flatterten. Rechts vom Staatssekretär saßen der Patriarch Trevisan und der Inquisitor Schellino, links der Nuntius Facchinetti und Alvise Mocenigoin seiner Eigenschaft als Savio für Ketzerei. Dem Dogen Loredan war ein Thron vor dem mittleren Portal der Kirche vorbehalten. Neben ihm saßen die sechs Ratgeber, die Häupter der Quarantia und der Zehn.
    Von der dritten Stunde an war in Venedig für zwei Stunden alles Glockenläuten verboten, mit Ausnahme der beiden Glocken des Campanile. Auf einen Wink des vatikanischen Staatssekretärs begannen sie mit dem Totengeläut, bei dem jeder einzelne Schlag langsam verklingt, bevor der nächste folgt und immer lauter wird, um ebenfalls zu ersterben. Schläge, die so langsam vergehen wie Jahre. Von zwei Glocken in unterschiedlichen Tönen erzeugt. Während dieses Geläuts legten zwei Kanoniere und zwei Arsenalotti in Galauniform Feuer an die vier Seiten des Scheiterhaufens. Vier Flammen aus griechischem Feuer schossen in die Höhe, die Akten begannen knisternd zu brennen. Rauch stieg auf. Dann ergriffen die Flammen die Bücher.
    Der Staatssekretär Bonelli neigte den Oberkörper zu Mocenigo und legte seine Lippen an dessen Ohr. »Großartiges Schauspiel«, flüsterte er. »Es wird Seine Heiligkeit glücklich machen und beruhigen.«
    Mocenigo nickte leicht. »Möge all dies der Heiligen Allianz dienen, Eminenz, aber beeilen wir uns, denn den Verlust Zyperns könnten die Venezianer sogar verschmerzen, doch wenn wir das östliche Meer preisgeben, habt Ihr die Türken bald in San Pietro, wo sie dann Bücherverbrennungen wie diese veranstalten, aber mit Euren heiligen Schriften.«
    Der Staatssekretär beugte sich wieder zu Mocenigo. »Venedig hat den Segen des Papstes. Ihr werdet sehen, das Bündnis kommt zustande.«
    Aus einer Ecke der Loggia des Palazzo sah Zuàn Francesco Marin die Flammen und den Rauch, die Menge und die Würdenträger und weinte. Er weinte vor Freude, denn in diesem Feuer lag die Rettung der echten Bibliothek von Lucrezia, nach derfortan keiner mehr suchen würde. Als der neben ihm stehende Chiffrierlehrling Pietro Amadi die Verzweiflung seines Meisters sah, fühlte er sich so verachtenswert, dass er daran dachte, sich zu erhängen wie Judas, nachdem er Jesus verraten hatte. Dann fielen ihm die lobenden Worte des Großkanzlers Ottobon über den wichtigen Dienst ein, den er der Serenissima geleistet habe. Er dachte an die hundert Dukaten, die er als Belohnung bekommen hatte und kam zu dem Schluss, dass er seinem Vaterland nützlicher war, wenn er weiterlebte. Natürlich hatte der Kanzler ihm befohlen, ihr Abkommen geheim zu halten und jeden Versuch einer Entschlüsselung der Raticosa-Chiffre zu verhindern. Diesem Befehl hatte Piero bis jetzt so gewissenhaft gehorcht, dass Ferigo schier verzweifeln wollte.
    Die Schläge der Totenglocken hallten bis in die Tiefen der Pozzi. Seit beinahe einem Monat lebte Andrea im »Kämmerchen«, wie der siebte Pozzo verharmlosend genannt wurde. Die Zelle lag an dem langen, engen Gang zwischen der Diensttreppe zu den oberen Zellen und den drei Pozzi an der Kanalseite

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