Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Soldaten mit der gekreuzten Oriflamme der Garnison von Padua. Viel weiter hinten erschienen in ungeordneter Folge, vom Aufstieg erschöpft, ein knappes Dutzend Dominikaner. Sie gingen im Zickzack, um den steilen Weg in viele kleine Diagonalen zu zerteilen. Einige gingen tief gebückt, die Hände auf die Knie gestützt, weil sie glaubten, den Beinen so beim Steigen helfen zu können, andere hatten sich auf einen Stein fallen lassen, während die sportlicheren Naturen beim Aufstieg den Rosenkranz beteten und hechelten wie mit Holz beladene Esel. Als der Trupp der Dominikaner die Weinberge erreichte, grüßten sie die arbeitenden Mönche, von denen jedoch nur wenige mit einer sparsamen Kopfbewegung antworteten. Mehr geschah nicht.
Der Abt, sein Stellvertreter, der Pförtner und die ältesten Mönche erwarteten die Prozession unter dem Portikus am Ende der steinernen Treppe. Der Abt ermahnte alle, Stillschweigen zu bewahren und den Ankömmlingen den herzlichen Empfang zu bereiten, der allen Brüdern gebührt. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, eilte er da Mula sofort entgegen, als er ihn amFuß der Treppe auftauchen sah: »Eccellenza, Messer Procuratore, welch eine Freude, Euch wiederzusehen!«
Angelo Riccio, der sich wegen der Rangordnung und aus taktischen Gründen drei, vier Schritte hinter ihm hielt, um alles beobachten zu können, ohne im Mittelpunkt zu stehen, sah den Prokurator vor dem Abt niederknien, während der Inquisitor, sichtlich verärgert über diese exzessive Ehrerbietung für diesen eingebildeten Mönch, sich mit einer leichten Neigung des Kopfes begnügte. Groß war das Erstaunen des Abtes, als da Mula, nachdem er ihn beiseitegezogen hatte, dem Abt in einer Vorrede aus Entschuldigungen und Rechtfertigungen den Grund für diesen Besuch erklärte: dem Rat der Zehn seien Informationen zugegangen, die er persönlich zwar für Verleumdungen halte, denen zufolge aber in dieser heiligen Einsiedelei, seit langem versteckt, eine große Menge verdächtiger und gefährlicher Bücher und Handschriften lagerten, die im jüngsten, von einer Kommission aus Vätern des Konzils von Trient verfassten Index Librorum Prohibitorum aufgelistet seien.
Obwohl der Abt vorbereitet war und zusammen mit Jacomo Dragan alles für die Rettung der Bücher getan hatte, stand ihm bei diesen Worten das Herz still, denn noch nie hatte das Feuer so nah beim Tempel gewütet. Mit Gottes Wille half ihm sein Glauben, und er konnte eine verstörte Miene aufsetzen: Welch ein Dämon mochte den Eremo Alto auf dem Thron der Inquisition gekreuzigt haben?
Nach seiner Vorrede lud da Mula, der in Kirchendingen viel Erfahrung und Spürsinn besaß, das Problem bei Schellino ab, denn er wollte sich der Verantwortung für den grausamsten Teil entziehen. Dem Inquisitor verlieh seine Freundschaft mit Papst Pius V., einem Dominikaner wie er, zusätzlich Sicherheit. Kaltblütig und beflissen wie ein routinierter Schlächter, der seine Hände schon oft in blutige Eingeweide getaucht hat, ging er zwei Schritte auf den Abt zu. Er riss die Augen auf, und es schien, als würden sein Gesicht und der Kropf sich aufblähen,um im nächsten Moment zu explodieren wie ein Brandtopf. In einer Hand hielt er zwei Bücher: den in Rom erschienenen Index von 1559 und jenen, der 1564 auf Anweisung der Konzilsväter in Venedig gedruckt wurde.
Schellino stierte den Abt, der eine gute Spanne größer war als er, unverwandt an, während er die Regeln dieser Begegnung und die Rollen festlegte. Seiner Gewohnheit gemäß, sich erst großzügig zu geben und dann unerbittlich zu sein, versicherte der Inquisitor dem Abt, dass nur Geistliche das Kloster betreten würden und von den Laien nur diejenigen, die der Abt für würdig erachtete. Dann bat er, mit ihm gemeinsam darum beten zu dürfen, dass Gott der Kirche Frieden schenkte, indem er die Seelen wieder miteinander versöhnte. Der Abt konnte nicht umhin, dieser Bitte zu entsprechen.
Angelo Riccio schwamm derweil wie der Korken an der Angelschnur in sicherer Distanz, denn ein Korken ist zum Angeln erforderlich, gleichzeitig aber weit entfernt von den Schrecken, die sich am betrügerischen Haken abspielen. Im Ärmel seiner Kutte hatte er das Blatt mit dem von Filippo Tomei dechiffrierten Satz, den er sich schon seit Tagen auswendig wiederholte: Im vierten Haus der euganeischen Einsiedelei sind die Buchstaben der Kunst, nach der die Welt sich sehnt und die sie allzeit sucht.
Er setzte sich jedoch mit den anderen in Bewegung, als
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