Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
aussah, musste man sich fest an den Mast klammern, um nicht in die Tiefe zu stürzen. Und in dieser Nacht, wo sie mit Rudern fuhren, der Antreiber mit der Trommel einen scharfen Rhythmus vorgab und der Schirokko eine lange Dünung hinterlassen hatte, wurde jedes Schlingern und Stampfen dort oben im Mastkorb zu einem Flug nach vorn und zur Seite, gefolgt von einem Rückstoß, als würde man von einem Katapult abgeschossen. In dem Käfig hatte Granzo, der Luchs, sich vor Angst in die Hose gemacht, hatte alles ausgekotzt, was er von sich geben konnte, und die Kälte war noch kälter geworden.
Andererseits hatte er keine große Wahl gehabt. Unter Berücksichtigung seines jugendlichen Alters und im Willen, ihnauf den rechten Weg zurückzuführen, indem man ihn einen Beruf lehrte, hatten die Richter ihn vor die Entscheidung gestellt: entweder drei Jahre Kloster in loco carceris oder zwei Jahre Dienst als Schiffsjunge auf einer Galeere. Er hatte ausgelost, und die zweite Möglichkeit war herausgekommen. Unterdessen hatte de Ulloa ihm das Lesen und Schreiben beibringen können, ehe er im Juni 1570 gestorben war.
In der schmalen Meerenge zwischen den Inseln Oxia im Westen und Koutsilaris im Osten wurden die Wellen noch höher, und der Wind frischte auf und streute weiße Wellenkämme über das Meer. Die venezianische Santa Maddalena bildete als erstes Schiff der Flotte die Vorhut, da sie diese Küsten am besten kannte. Gleich dahinter fuhren in einer fächerförmigen Anordnung die Sole von Vincenzo Querini, die Santa Caterina von Marco Cicogna und die Una Nostra Donna des Kapitäns Pier Francesco Malipietro. Eine heftige Bö, begleitet von einem starken Schlingern, ließ Granzo im Käfig zusammensinken und ein Avemaria beten. Als er den Kopf wieder hob, sah er im Osten, wo der Horizont sich hell zu färben begann, zwischen den weißen Wellenkämmen eine seltsame Rundung, die sich nicht wieder auflöste wie die anderen Kämme. Er wartete, denn in diesem diffusen Dämmerlicht und bei dem Geschaukel ließ sich ein Segel leicht mit einer Welle verwechseln. Er rieb sich die Augen voll salziger Gischt. Da tauchte ein zweiter winziger Bogen in südlicher Richtung auf. Der nächste. Und noch einer. Es waren Segel. Zehn, vielleicht zwölf Meilen entfernt. Ihm schwanden fast die Kräfte, er fiel zurück auf den Boden des Käfigs. Aber er musste handeln, kroch in den Windschatten des Masts, klammerte sich an den Korb, beugte sich über den Rand, schloss die Augen und schrie aus Leibeskräften:
»Segel! Segel drei Strich links vorm Bug!«
In der Tiefe erhob sich ein Lärmen. Eine Glocke schlug dreimal, und sofort huschte ein Schatten aus dem Achterkastell, lief den Seitensteg entlang, ergriff die Strickleiter und kletterte amGroßmast empor. Granzo sah ihn rasch größer werden, bis er an seiner Seite war. Es war der Steuermann.
»Wo?«, fragte er nur, um dann in die Richtung zu spähen, die Granzo ihm wies. Im lauten Wüten der Elemente erhob sich nun auch vom Mastkorb der Sole ein Schrei des Wachpostens. Dann hörte man die Rufe von der Santa Caterina und Nostra Dama . »Bravo, Luchs, du warst der Erste!« Der Offizier lächelte ihn an. »Das sind Fockmastsegel. Bleib hier oben und zähl sie!«
Nach diesen Worten kletterte er mit Sprüngen die Leiter wieder herab, so schnell, als würde er fallen. Granzo spähte schon wieder nach den Segeln. Er war so stolz auf sich, dass ihm die Tränen kamen.
5
Am Achterkastell der Sole stand der Kapitän und Schiffseigner Vincenzo Querini neben dem Steuermann und verfolgte, wie das Schiff mit verzögertem Ruderschlag steuerbord beidrehte, um sich wieder zwischen die dreißig anderen Galeeren des Marqués de Santa Cruz einzureihen. Zwei Offiziere in voller Rüstung und Helm mit Sturmhaube übten das schnelle Hantieren mit der Armbrust und verglichen die Anzahl der Galeeren mit den Zeiten, die ihre Burschen für das Nachladen brauchten. Auf der linken Seite fuhr die gesamte Flotte von Giovanni Andrea Doria mit raschen Ruderschlägen vorbei. Sie bestand aus zweiundfünfzig schlanken Galeeren und zwei Galeassen unter dem Kommando der Gouverneure Guoro und Pisani. Die Schlachtordnung sah vor, dass diese Flotte sich auf dem rechten Flügel nach Süden und zum offenen Meer hin verteilte. Die mit Kanonen schwerbeladenen Galeassen, die gegen den Wind ruderten, lagen freilich noch weit zurück, mehrere Meilen in Richtung Kefalonia.
Querini blickte nach Osten, wo die türkischen Segel am Horizont
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