Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
hatten sich sogar auf den herausgerissenen Teil eines Galeerendecks hieven können und schmähten von dort aus einen Armen, der sich an einem Brett festhielt. »Du Hundsfott, Dreckskerl, Scheißtürke!«, schrien sie ihm zu und bewarfen ihn mit allem, was umherschwamm.
Bepo Rosso hatte sich an ein halb unter Wasser schwimmendes Fass geklammert, auch er kämpfte gegen die Strömung. Er blutete aus mehreren Wunden, die Kälte hatte seinen Körper gefühllos gemacht, und er merkte, wie seine Kräfte schwanden. An dieser Stelle floss die eiskalte Süßwasserströmung aus dem Acheloos eine Elle unterhalb der Wasseroberfläche ins Meer. In der kalten Strömung spürte Bepo plötzlich einen Wasserwirbel zwischen seinen Beinen. Er dachte an eine vom Meeresboden aufstrudelnde Wasserader, wie sie in diesem Teil Griechenlands häufig vorkamen, wo die Flüsse Tunnel in die Kalkfelsen graben. Doch die Bewegung wiederholte sich, und dem Werkmeister war, als streifte etwas seine Füße. Als er die aufgewühlte Wasseroberfläche um einen Toten herum sah, wusste er, dass die Haie gekommen waren.
»Heilige Jungfrau Maria, die Haie!«, schrie jemand aus vollem Halse.
»Da sind sie! Da!«, rief ein anderer.
Bepo sah deutlich, wie der Tote sich bewegte, einen Arm hob, sich drehte, dann tauchten zwei dunkle Rückenflossen auf, Wasser spritzte, schäumte, gepeitscht vom Schwanz eines Hais, und der Tote verschwand in der Tiefe.
Als hätte jemand den Startschuss zu einem jener Wettschwimmen gegeben, die sich die Arsenalotti im Sommer im großen Hafenbecken des Arsenale lieferten, versuchten nun alle, sich so weit möglich auf ihre Wrackteile zu hieven und begannen, schreiend mit Beinen und Armen zu strampeln.
Bepo, der als junger Mann die warmen Gewässer Syriens und Ägyptens befahren hatte, wo es sehr viele Haie gab, wusste, dass heftiges Rudern mit Armen und Beinen nur dazu diente, früher angegriffen zu werden, gerade so, wie wenn man vor einem bissigen Hund wegläuft. Also versuchte er, sich auf dem Fass möglichst ruhig zu halten, während der Großteil der Gruppe seine verzweifelte Flucht ohne jede Orientierung fortsetzte und zwischen die Rauchschwaden und die kurzen, hohen Wellen geriet. Kurz darauf schnappte ein Hai nach dem Bein eines Mannes,der wie ein Besessener brüllte, zappelnd um sich schlug und dann verschwand.
Nur der türkische Schiffbrüchige schwamm noch langsam in Sichtweite. Während die Schreie der anderen leiser wurden, drangen aus der Richtung, in der Oxia lag, zunehmend deutlicher die regelmäßigen Schläge einer Glocke durch den Rauch.
»Brüder! Brüder!«, schrie eine Stimme.
Rosso erwiderte den Ruf, und schon bald hörte er das entschlossene Eintauchen der Ruder. Im Nebel erschien der Bug einer Brigantine. Das Schiff steuerte zuerst auf den Türken zu. Die Ruder wurden angehoben, drei Männer beugten sich über Bord. »Das da ist bloß ein Türke!«, rief einer grob. Schweigen. Eine Arkebuse tauchte auf. Sie schossen ihm in den Kopf. Die Ruder tauchten wieder ins Wasser, und das Schiff hielt vor Rosso. Sie packten ihn an den Armen und zogen ihn an Bord. Bepo ließ sich ins Schiff rollen, zwischen die Ruderbänke und die Heckkabine, wo mehrere, in Decken gehüllte Verletzte lagen.
»Steuerbord voraus sind zehn der Unseren, und das Meer ist voller Haie«, sagte er keuchend zum ersten Mann, der sich über ihn beugte. Sofort wurde der Befehl zum Rudern gegeben. Man drückte Bepo eine Flasche Aquavit in die Hand, und er nahm einen tiefen Schluck, der ihn stärkte. Er holte in vollen Zügen Luft. Er lebte und konnte es noch immer schaffen. Sein Blick ging zur Kajüte: Pritschen und Wegerung waren voller Schiffbrüchiger und Verletzter. Er blickte zu den Ruderern. Ihre Kleider waren zerrissen und blutgetränkt. Manch einer war verletzt. Der Vorruderer auf der ersten Bank erregte seine Aufmerksamkeit, er kam ihm bekannt vor, und der Mann musterte ihn.
»Das Schicksal will, dass wir uns immer dort begegnen, wo der Tod wütet.«
Auch die Stimme war Bepo vertraut, jetzt erkannte er ihn. »Andrea Loredan! Ihr seid das!«, rief der Werkmeister aus.
9
Die dreiundzwanzig Kanonen der großen Galeere Guora glühten, darum mussten die Bombardieri sie von Zeit zu Zeit mit nassen Lappen kühlen. Der erlauchte Signor Giacomo Guoro, Kommandant des Schiffes, hatte den rechten Flügel der Schlachtreihe verlassen und sich eine Drittelmeile vom Zentrum der Kämpfe entfernt. Jetzt hinderte er mit seinen dreiundzwanzig
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