Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Mann rührte sich nicht, starrte ihn nur mit weit aufgerissenen Augen an. Bepo rutschte weiter zu einem anderen Galeerensklaven, der gerade den Holzrahmen zersägte, an dem seine Kette befestigt war. Er hatte es fast geschafft.
»Gib her!«
»Gesegnet seist du, Bruder!«
Der Mann reichte ihm die Säge, und Rosso machte sich energisch ans Werk.
»Ich suche meinen Sohn, Giorgio Rosso, er ist am Ruder auf diesem Schiff!«, sagte er.
Der Ruderer riss die Augen auf und starrte ihn fassungslos an, wie der andere zuvor. Rosso nahm das Holz und zerbrach es. Der Mann war frei.
»Sag schon, kennst du ihn?«
Erst jetzt, als er die Augen hob, bemerkte der Werkmeister die bestürzte Miene des Mannes.
»Wer kennt ihn nicht …«, sagte der Galeerensklave mit resigniertem Unterton und hob den Blick zum Bug, wo neben dem Fockmast eine Gruppe Sipahi mit Schwertern den Angriff der venezianischen Fanti da Mar abwehrten. »Geh da hin«, fügte er traurig hinzu.
Andrea hatte begonnen, die Vaterunser zu beten, doch dann hatte er es nicht mehr ausgehalten. Er war auf die gleiche Weise wie Rosso in die Galeere geklettert. Als er durch Blutlachen unter den Ruderbänken hindurch kroch, sah er Bepo Rosso: Er ging langsam über den Mittelsteg, unbewaffnet, mit gesenkten Armen, an den Bordwänden rechts und links von ihm waren Reihen türkischer Schützen mit Bogen und Arkebusen zu sehr damit beschäftig, auf die christlichen Galeeren zu schießen, um ihn zu bemerken.
»Himmel Herrgott!«, flüsterte Andrea.
Rosso war schon am Großmast vorbei, als ein Janitschar sich auf ihn stürzte. Sie rollten über die Planken, das Schwert vibrierte in der Luft. Der Werkmeister hielt das Handgelenk des Soldaten fest und versetzte ihm einen Fausthieb ins Gesicht. Rosso ließ von ihm ab, erhob sich und ging weiter auf den Bug zu, wo die Türken wieder die Oberhand zu haben schienen. Der Janitschar stand auf und schrie etwas, dann warf er sich wieder auf den Werkmeister. Dieses Mal war er nicht allein, Rosso musste sich mit drei Gegnern auseinandersetzen. Alle drei griffen ihn an. Ein Messerstich traf ihn an der Seite. Er schlug zurück. Entschlossen stieg Andrea von den Ruderbänken auf das Deck und griff mit erhobenem Schwert ein. Er stellte sich zwischen die Soldaten und Rosso, der sich die verletzte Seite hielt. Der Kampf begann, aber er währte nicht lang, denn auf den Seitenstegen hatten die Männer das Geschehen bemerkt. Bepo und Andrea sahen sich Rücken an Rücken einem Kreis aus Sipahi gegenüber, die mit Piken und Bogen bewaffnet waren. Ihnen blieb keine Wahl, als dem Tod würdig ins Auge zu sehen.
Da ertönte ein lauter Befehl. Die Piken und Bogen senkten sich. Mit raschen Schritten durchquerte Hassan Agà Veneziano den Kreis aus Soldaten und blieb vor Bepo Rosso stehen. Sie musterten einander. Trotz der türkischen Gewänder, der großen Kopfbedeckung und dem Bart hatte der junge Hassan etwas Vertrautes.
»Vater!« rief Hassan verblüfft aus.
»Du bist es?«, fragte der Werkmeister wie vom Donner gerührt.
»Ja.«
Rossos Ohrfeige traf den Sohn mitten ins Gesicht. Überall erhoben sich die Waffen, doch der junge Mann schrie einen Befehl, und die Sipahi hielten inne. In diesem Moment erschütterte eine gewaltige Explosion das Schiff, und am Heck erhob sich eine dichte Rauchwolke. Die beiden Venezianer auf demBoot hatten den Brandtopf gezündet. Von überallher ertönten Schreie, am Achterkastell überwachte Müezzinzade persönlich die Matrosen, die das Feuer löschten.
Hassan gab einen zweiten knappen Befehl auf Türkisch, und während die Hälfte der Soldaten zum Heck lief, packten zwei von ihnen Andrea und Bepo und schleiften sie weg.
Im Kielraum stand das Wasser zwei Spannen hoch, ein Dutzend Männer hantierte mit den Pumpen, um das Wasser abzuschöpfen. Hassan ließ die Gittertür des Gefängnisses öffnen, und die beiden wurden hineingestoßen.
»Ihr seid verletzt, lasst mich Eure Wunde sehen«, sagte Giorgio Rosso zu seinem Vater und versuchte, dessen Seite zu berühren.
Zornig ergriff Bepo sein Handgelenk. »Rühr mich nicht an! Feiger Mörder!«, schrie er ihm mit bebender Stimme ins Gesicht.
»Was wollt Ihr eigentlich?«, sagte der Sohn. »Ich habe Euch ein ganzes Jahr lang geschrieben! Und nie eine Antwort von Euch bekommen!«
»Was redest du da? Keinen einzigen Brief habe ich von dir erhalten!«
»Sie haben Euch meine Briefe nicht gegeben!«, rief Giorgio erbittert aus. »Ihr habt sie nicht bekommen! Aber sie
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