Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Handelsunternehmens kümmerte, mithin jene Rolle ausfüllte, die Pietro Loredan so gerne Andrea übertragen hätte.
Das Mahl krönte eine köstliche Süßspeise in Form einer türkischen Galeere mit allem Drum und Dran: einem rotgoldenen Rumpf, Rudern, Masten, Segeln und Flaggen. Es war die Sultana von Müezzinzade Ali, und dieses Dessert war die einzige Konzession an das ruhmreiche Ereignis. Alle aßen davon, auch Andrea. Nach dem Essen blieben die beiden Brüder allein, bis die feierliche Messe in San Pantaleone begann. Alvise bat Andrea, mit ihm in den Dachboden »der fernen Orte« hinaufzusteigen.
Von dort oben war der Blick auf das von Millionen Lichtern und Feuerwerken erleuchtete Venedig wirklich atemberaubend. Alvise zündete die Laterne dieses für ihn heiligen Orts an, der nach Meer und Wind roch. Überrascht erblickte Andrea auf dem großen, von allen Karten, Büchern und Werkzeugen leergeräumten Tisch das detailgetreue Modell einer Galeone.
»Sieh nur, wie schön«, sagte Alvise und drehte das Schiff auf seinem Sockel. »Drei Masten, Bugspriet, sieben Rahsegel und Besansegel. Bei gutem Wind schafft es hundertfünfzig Seemeilen in einem Tag. Es hat zehn Kanonen pro Flanke, zwei Kolubrinen am Bug, zwei weitere achtern, und nimmt achtzig Mann Besatzung auf.«
Die rechte Bordwand fehlte, so konnte man ins Innere des Schiffs sehen.
»Zwei Decks, das dreifache der Ladefläche einer Galeasse«, fuhr Alvise fort. »Ich habe das Schiff von den Engländern gekauft und auf den dalmatischen Werften in Curzola ausrüsten lassen. Im Frühjahr liefern sie uns ein zweites wie dieses. Was sagst du dazu?«
»Du hast es also getan«, bemerkte Andrea.
»Wenn du einverstanden bist, möchte ich es auf den Namen Mondo Novo taufen lassen.«
Andrea blickte ihn kopfschüttelnd an und lächelte. So war sein Bruder: erst entschied er, dann fragte er. Aufgeben würde er jedenfalls nie. Alvise erwiderte das Lächeln und fasste Andrea am Arm.
»Durch den Sieg über den Türken wird das Mittelmeer wieder zu einem offenen Meer, und mit den Spaniern haben wir schon vertraglich vereinbart, dass wir Waren im Wert von zwanzigtausend Dukaten über den Atlantik bringen können.« Er ging zu der großen Weltkarte des Mercator, die an der Wand hing, und zeigte auf einen Punkt. »Hier, nach Florida. Und wir werden mit Gold, Silber, Fellen, Edelhölzern, Gewürzen und allem, was der Kielraum der Galeone fasst, zurückkehren. Wenn das zweite Schiff fertig ist, werden wir schon über einen Hafen und Lagerräume in Tanger verfügen, die die Portugiesen uns vermieten, und dann beginnen wir mit regelmäßigen Fahrten der Mondo Novo . Mindestens vier im Jahr. Was sagst du dazu?«
Andrea antwortete mit Schweigen.
»Wenn du an meiner Seite bist, können wir es schaffen. Heutzutage liegt der Markt im Westen, jenseits des Ozeans.« Alvise war sichtlich erregt. »Je früher wir aufbrechen, desto eher werden wir ankommen!«
Das Glühen in den Augen seines Bruders war Andrea nur allzu vertraut. »Wann willst du denn aufbrechen? Lass hören!«, fragte er, wie um ihn herauszufordern.
Alvise setzte eine geheimnisvolle Miene auf. »Es ist ein bequemes Schiff mit hohen Bordwänden, starken Winden und schwerer See hält es gut stand«, erklärte er und zeigte auf eine Stelle im Modell der Galeone. »Hier würdest du eine große Kabine ganz für dich allein haben, mitsamt Koch und Dienern. Zwei Monate Fahrt und Ruhe!«
»Wann, Alvise? Los, sag es mir.«
»Wenn es nach mir ginge«, er zögerte einen Augenblick, dann brach es aus ihm heraus: »würde ich sofort in See stechen!«
Andrea blickte ihn prüfend an. In diesem Moment ging ein Feuerwerk auf dem Campo San Pantaleone los, und die Glocken der Kirche begannen zu läuten, dass Fensterscheiben und Wände vibrierten.
»Die Messe. Gehen wir!«, rief Alvise fast erleichtert aus.
30
Die Gemeinde von San Pantaleone war sehr groß, und wenn das Glockengeläut die Gläubigen zusammenrief, füllte sich nicht nur die Kirche, sondern auch der Platz davor. Nicht selten wurde ein zweiter Altar im seitlichen Portikus aufgebaut, damit das Volk auf dem Kirchplatz der Messe folgen konnte. So auch an diesem Abend.
Natürlich besetzten die Familien Loredan, Foscari und Dolfin, die im Viertel gut vertreten waren, die vordersten Plätze. Für die Loredan und Foscari waren die wenigen Bänke in der Apsis zu beiden Seiten des Hochaltars reserviert, während die Dolfin sich mit den ersten Reihen im Kirchenschiff
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