Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Umkreis der Celestia: der Tod der Äbtissin Lucia Vivarini, des kleinen Tonino Ruis und der Suor Clara. Auch in diesen Fällen werde die venezianische Justiz unbeirrbar weiter ermitteln, versprach der Doge. Der Rat der Zehn habe Andreas Untersuchungen über den Tod des Maklers und den Erwerb eines Hauses in Burano durch einen armen Fischer fortgeführt und sei im Begriff, Verhaftungen unter hochrangigen Personen im Kloster San Giacomo auf der Giudecca und bei den Nonnen der Celestia vorzunehmen. Mehr musste er nicht sagen.
Darauf ließ Mocenigo die Dogaressa kommen und sprach in ihrer Gegenwart den zweiten Punkt an, der ihm besonders am Herzen lag: seine große Liebe zur Wissenschaft und den Künsten und darum auch zu Büchern. Lucrezias Büchern. Er sprach von der Accademia della Fama , 1558 durch Federico Badoer gegründet, von der umfangreichen Bibliothek aus vielen tausendBänden, die, ohne irgendeine Gattung auszuschließen, alles aus der Kunst, Dichtung, Philosophie und Mathematik bis zu den natürlichen und medizinischen Wissenschaften und den großen Abhandlungen zur Alchemie umfasste. Nachdem er so den Boden bereitet hatte, ging der Doge zurück in die Vergangenheit und erinnerte sich an seine Jugend, als die Liebe zur Kultur ihn bewogen hatte, in den Bund der Wächter einzutreten. An dieser Stelle vermied er es, Dinge anzusprechen, die Andrea wohlbekannt waren. Er erzählte nur, wie er sich immer bemüht hatte, alles zu retten, was er hatte retten können. Auch beim letzten Mal, als es ihnen gelungen war, den Angriff eines so geschickten Spions wie Angelo Riccio zu verhindern. Sein Gesicht leuchtete auf, als er Andrea anvertraute, dass die kostbarsten Bücher seiner Mutter Lucrezia, jene, die auf dem Index standen, endlich gerettet und in Sicherheit seien.
Die Begegnung endete beim Läuten der Pregadi-Glocke, die die Senatoren zur Versammlung rief, und diese völlig unerwarteten Enthüllungen, die Andreas Bild von Mocenigo gänzlich veränderten, hatten außerdem die wohltuende Wirkung, ihn von seiner inneren Leere zu befreien.
So verabschiedeten sich der Doge und die Dogaressa mit einem besonderen Geschenk: einer kostbaren, detailgetreuen Galeere aus geblasenem Glas zum unvergänglichen Gedenken an den Sieg. In Hoc Signo Vinces war in die Bordwand graviert.
»Ein Werk von Maestro Dragan«, erklärte Loredana.
Alvise umarmte Andrea und flüsterte ihm zu: »Denkt über das nach, was wir besprochen haben.«
Doch gründlich nachzudenken wollte Andrea, den die neuen Wahrheiten ohnehin benommen machten, bei dem Lärm, dem Wirbel aus Begegnungen, Umarmungen und Reden nicht recht gelingen. Was Mocenigo ihm angeboten hatte, war der Titel eines Cavaliere von San Marco und seine uneingeschränkte Unterstützung im Senat für Andreas Wahl zum Savio agli Ordini.
Als er den Saal der Landkarten verließ, erwartete ihn Zaccaria, der Hauptmann der Palastwache, mit seinen Getreuen. Alle verbeugten sich und tauschten stumme, gerührte Umarmungen. Andrea erblickte seinen Bruder Alvise auf dem Treppenabsatz der Scala d’Oro. Reglos stand er dort in der schwarzen Toga mit roter Schärpe eines Haupts der Zehn und sah ihn an. Er schien Andrea um zehn Jahre gealtert, der Bart und die fuchsroten Haare waren mit Grau durchsetzt. Andrea ging auf ihn zu. Sie umarmten sich. Alvise war so gerührt, dass er nicht sprechen konnte – er, ein Mann, der dem Meer mit bloßen Händen entgegentrat.
29
Alvises Frau Elena hatte das Festbankett zu Ehren Andreas so streng und schlicht wie eine Mensa beim Militär organisiert. Aufgrund ihrer eisernen pädagogischen Prinzipien waren die kleinsten Kinder an einen Nebentisch verbannt, damit die Erwachsenen frei sprechen konnten. An Themen gab es wahrhaftig genug, um die Nacht und den nächsten Tag zu füllen. Über die Ereignisse bei den Curzolaren war allerdings kein Wort gefallen, und Andrea hatte verstanden, dass auch hierüber genaue Befehle ergangen waren.
Ein einziger »Fremder« war eingeladen worden, Francesco d’Angelo, und das Wiedersehen mit seinem Mitarbeiter und treuen Freund hatte Andrea überglücklich gemacht. Zu seiner großen Freude erfuhr er, dass Francesco, seit er in den Stand der Avvocati Straordinari erhoben war, in der Stadt lebte und nun in jeder Hinsicht zur Familie Loredan gehörte. Denn Alvise hatte ihm drei Räume im Südflügel vermietet, wo er nicht nur seiner Anwaltstätigkeit nachging, sondern sich auch um die juristischen Belange des familieneigenen
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